Wiederholung ist nicht gleich betriebliche Übung

Arbeitsrecht

Nur weil ein Arbeitgeber wiederholt Tariferhöhungen ohne Tarifbindung weitergibt, entsteht daraus nicht automatisch eine betriebliche Übung. Entscheidend ist aber nicht die Intention des Arbeitgebers, sondern die Wahrnehmung der Arbeitnehmer.

Eine betriebliche Übung entsteht nicht schon durch bloße Wiederholung. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) setzt eine betriebliche Übung eine bestimmte Verhaltensweise des Arbeitgebers voraus, aus der die Arbeitnehmer schließen können, eine Leistung oder anderweitige Vergünstigung solle ihnen dauerhaft eingeräumt werden. Das stellt dann ein Vertragsangebot dar, dass die Arbeitnehmer in der Regel stillschweigend annehmen, so dass ein vertraglicher Anspruch entsteht. Entscheidend ist nicht, wozu sich der Arbeitgeber verpflichten will, sondern wie die Arbeitnehmer als Empfänger die Erklärung oder das Verhalten des Arbeitgebers unter Berücksichtigung aller Begleitumstände sowie nach Treu und Glauben verstehen durften und mussten.

Sachverhalt:
Der tarifgebundene Arbeitgeber hatte 1995 einen Arbeitsvertrag mit der Klägerin geschlossen, wonach sich das Arbeitsverhältnis nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) sowie den jeweils ergänzenden, ändernden, ersetzenden und sonstigen für die Art der Tätigkeit des Beschäftigten einschlägigen Tarifvereinbarungen bestimmt. 1999 wurde der Arbeitgeber durch Aktienkaufvertrag verkauft, in dem es unter anderem hieß: „Die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vorhandenen Mitarbeiter werden weiterhin nach BAT-BMT-G entlohnt und deren Zusatzversorgung nach dem einschlägigen Tarifvertrag gewährleistet“. Zugleich schied der Arbeitgeber aus dem Arbeitgeberverband aus, gab aber dennoch von 2000 bis 2004 die für den öffentlichen Dienst vereinbarten tariflichen Lohnerhöhungen an seine Arbeitnehmer weiter. Anders als das Arbeitsgericht Mainz und das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz hat das BAG (Urt. v. 24. Februar 2016, 4 AZR 990/13) das Entstehen einer betrieblichen Übung auf künftige Tariferhöhungen verneint.

Die Entscheidung:
Hat ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber seine Löhne mehrfach entsprechend der Tarifentwicklung in einem bestimmten Tarifgebiet erhöht, entsteht allein hieraus kein Anspruch der Arbeitnehmer, dass dies auch in Zukunft so sein wird. Das BAG bestätigt diese Rechtsprechung und stellt darüber hinaus fest, dass selbst ein tarifgebundener Arbeitgeber sich in der Regel nicht über die Zeit seiner Tarifbindung hinaus dauerhaft darauf festlegen will, Tariflohnerhöhungen weiterzugeben. Das ist für die Arbeitnehmer erkennbar. Eine betriebliche Übung kann nur dann entstehen, wenn deutliche Anhaltspunkte im Verhalten des Arbeitgebers dafür sprechen, dass er die Erhöhungen – auch ohne diesbezügliche Tarifpflicht – künftig, das heißt auf Dauer übernehmen will.

Vorliegend ergebe sich auch kein Anspruch aus der Bezugnahmeregelung des Arbeitsvertrages, die nach der früheren Rechtsprechung eine reine Gleichstellungsabrede sei. Es handele sich um einen Vertrag, der vor dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform am 1. Januar 2002 abgeschlossen worden ist. Für solche Altverträge gewährt das BAG auch weiterhin Vertrauensschutz.

Aus dem Aktienkaufvertrag ergebe sich nichts anderes. Insbesondere sei er kein Vertrag zu Gunsten Dritter, das heißt der Arbeitnehmer. Aus dem Wortlaut des Aktienkaufvertrages ergäben sich keine Anhaltspunkte für eine Auslegung dahin, dass unmittelbare Rechte zu Gunsten der Arbeitnehmer hätten begründet werden sollen.

Praxishinweis:
Erfreulich ist, dass das BAG seine Rechtsprechung bestätigt, nach der durch die bloße Weitergewährung von Tariferhöhungen durch einen nicht (mehr) tarifgebundenen Arbeitgeber keine betriebliche Übung entsteht. Das Urteil zeigt zugleich, dass dies schnell anders sein kann, wenn – aus Sicht der Arbeitnehmer – das Verhalten des Arbeitgebers dahin verstanden werden kann, dass solche Erhöhungen auch in Zukunft immer gewährt werden sollen. Deshalb ist jedem nicht (mehr) tarifgebundenen Arbeitgeber zu raten, bei der Weitergabe einer Tariferhöhung explizit darauf hinzuweisen, dass dies keinen Anspruch auf Weitergabe künftiger Tariferhöhungen begründet, er vielmehr nur die gerade aktuelle Erhöhung weitergeben will. Dies kann zum Beispiel durch einen Aushang oder auf andere betriebsübliche Weise erfolgen, auch durch einen Hinweis in Verbindung mit der geänderten Gehaltsabrechnung, etwa einem Rundschreiben als Anlage zu dieser.

Vor allem verdeutlicht das Urteil, dass vertragliche Inbezugnahmeklauseln schon bei der Änderung von Arbeitsverträgen leicht ihren bis dahin bestehenden Gleichstellungscharakter verlieren und zur konstitutiven Vereinbarung auch künftiger Tarifveränderungen werden können. Deshalb ist auch hier Vorsicht geboten. Schließlich ist bei Unternehmensverkaufsverträgen und selbst bei Verträgen, mit denen „nur“ die Gesellschaftsanteile verkauft werden, sorgfältig darauf zu achten, dass Verweise auf die Vergütung nach Tarif nicht als Begründung eines Rechts zu Gunsten der Arbeitnehmer auf künftige Tariferhöhungen missverstanden werden.

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Axel J Klasen, Foto: Privat

Axel J. Klasen

Axel J. Klasen ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei GvW Graf von Westphalen.

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