Arbeitnehmer müssen sich nicht an unbillige Versetzungsweisungen halten

Arbeitsrecht

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat entschieden, dass Arbeitnehmer eine unbillige Weisung des Arbeitgebers nicht befolgen müssen, wenn keine dementsprechende rechtskräftige Entscheidung eines Arbeitsgerichts vorliegt. Dies ist für Praxis von Bedeutung.

Bislang war die Rechtslage so, dass Arbeitnehmer auch strittige Weisungen des Arbeitgebers zunächst befolgen mussten, da sie anderenfalls das Risiko einer Kündigung wegen Arbeitsverweigerung eingehen mussten (so der 5.Senat des Bundesarbeitsgerichts). Die bisherige einzige Möglichkeit war es daher, gegen die missfallende Direktionsanweisung auf dem Klageweg vorzugehen und die gerichtliche Entscheidung abzuwarten. Diese Rechtsansicht lehnt der 10. Senat des Bundesarbeitsgerichts nunmehr jedoch ab. Mit Beschluss vom 14. Juni 2017 (Az. 10 AZR 330/16) hatte der 10. Senat deshalb beim 5. Senat angefragt, ob dieser an seiner bisherigen Rechtsauffassung festhalte.

Aufgrund dieser Anfrage gab der 5. Senat mit Beschluss vom 14. September 2017 (Az. 5 AS 7/17) bekannt, dass Arbeitnehmer im Anwendungsbereich des §106GewO unbilligen Weisungen des Arbeitgebers nicht mehr Folge zu leisten haben, wenn keine diesbezügliche rechtskräftige Entscheidung eines Arbeitsgerichts vorliegt. Er hat damit seine bisherige Rechtsprechung offiziell geändert.

Der Auslöser für diese Rechtsprechungsänderung war folgender Rechtsstreit: Der Kläger war seit 2001 bei der Beklagten in einer Zweigstelle in Dortmund tätig. In den Jahren 2013/14 war zwischen den Parteien ein Kündigungsstreitverfahren anhängig, das zu Gunsten des Klägers entschieden wurde. Die Dortmunder Zweigstelle lehnte eine weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger nach der erfolgreichen Kündigungsschutzklage jedoch ab. Daraufhin versetzte die Beklagte den Kläger mittels Weisung in eine Berliner Zweigstelle. Der Kläger war mit einer solchen Versetzung nicht einverstanden und nahm seine Tätigkeit in Berlin daher auch nicht auf. Aus diesem Grund hatte die Beklagte den Kläger wegen Arbeitsverweigerung im März 2015 und im April 2015 abgemahnt. Nachdem der Kläger auch weiterhin seine Tätigkeit in Berlin nicht aufnahm, hatte die Beklagte ihm fristlos gekündigt.

Der Kläger erhob gegen diese Kündigung Klage zum Arbeitsgericht und beantragte zudem die Feststellung, dass er nicht verpflichtet gewesen sei, der Versetzungsanweisung Folge zu leisten.

Entscheidung:
Beide Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Beide Gerichte waren sich auch dahingehend einig, dass die Versetzung von Dortmund nach Berlin nicht billigem Ermessen entsprochen hatte. Fraglich war jedoch, ob der Kläger dennoch dazu verpflichtet gewesen sei, sich bis zu einer rechtskräftigen Klärung der Angelegenheit an diese Weisung zu halten.

Über die letztere Frage hatte der 10. Senats des BAG zu entscheiden und wollte diesbezüglich die Auffassung vertreten, dass Arbeitnehmer sich nicht – auch nicht vorläufig – an unbillige Weisungen des Arbeitgebers halten müssen. Somit hätte auch der Kläger der Anweisung keine Folge leisten müssen, und die mit der Weigerung des Klägers begründete Kündigungserklärung wäre unwirksam gewesen.

Da eine derartige Entscheidung des 10. Senats des BAG allerdings der bisherigen Rechtsauffassung des 5. Senats des BAG widersprochen hätte, fragte der 10. Senat zunächst beim 5. Senat an, ob der 5. Senat an seiner bisherigen Rechtsauffassung festhalte.

In der jetzt dazu veröffentlichten Entscheidung hat sich der 5. Senat nun offiziell von seiner bisherigen Rechtsprechung distanziert. Ab sofort gilt damit, dass Arbeitnehmer keine unbilligen Weisungen (auch nicht vorläufig) befolgen müssen. Insbesondere müssen sie nicht erst abwarten, bis ein Arbeitsgericht über die Rechtmäßigkeit der Weisung entschieden hat.

Fazit:
Diese Änderung der Rechtsprechung ist für die gelebte Praxis von Bedeutung. Der Arbeitnehmer muss damit zum Beispiel bei einer örtlichen Versetzung nicht direkt auf Verlangen des Arbeitgebers die Stadt wechseln. Jedoch ist auch hier Vorsicht geboten, denn die Entscheidung besagt nicht, dass ein Arbeitnehmer jede unerwünschte Direktionsanweisung nicht befolgen muss, sondern vielmehr nur jede unbillige Anweisung. Wo die Rechtsprechung die Grenze für diese Unbilligkeit ziehen wird, wird sich in Zukunft zeigen. In der Praxis sollte deshalb nicht blind auf diese Rechtsprechungsänderung vertraut werden. Im Zweifelsfall sollte sich der Arbeitnehmer deshalb vorab erkundigen, ob eine Weisung noch von seinem Arbeitsvertrag gedeckt ist und er die Umsetzung der Weisung tatsächlich verweigern kann oder nicht.

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Joachim Huber, Foto: Privat

Joachim Huber

Dr. Joachim Huber ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht in der Kanzlei Dr. Huber Dr. Olsen in München.

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