Der Meister hat einen Schatten

Personalmanagement

Der Halbleiter-Konzern NXP braucht Top-Experten, und zwar schnell. Weil es die auf dem Markt nicht gibt, bildet er sie im Turboverfahren selbst aus.

Eine der größten beruflichen Erfahrungen des promovierten Informatikers Markus Hinkelmann war es, einem Profi bei der Arbeit zuzuschauen. Eigentlich macht er das bis heute: Hinkelmann schaut Mathias Wagner zu, denn der hat bei Hinkelmanns Arbeitgeber, dem Halbleiterhersteller NXP Semiconductors, ungefähr die Position einer technischen Gottheit inne. Ein Mann, bei dem ein Nachwuchstalent erst mal nur im Schatten stehen kann und selbst das noch als Gabe empfindet – darauf jedenfalls deutet hin, wenn Markus Hinkelmann von Wagner als „Schattengeber“ spricht. Hinkelmann fehlt es nicht an Selbstbewusstsein, aber in den zurückliegenden beiden Jahren ging er auf in seiner Rolle als „Beschatter“, wie er sagt. Hinkelmann wich Wagner im Büro nicht von der Seite, bei Meetings nicht, und auch bei Geschäftsreisen waren die beiden nicht zu trennen. Was andernorts als Stalking gewertet würde, hatte bei NXP Modellcharakter. Gerade folgt ein Dutzend junger Talente in dem Unternehmen dem Vorbild Hinkelmanns und Wagners, und heftet sich an die Fersen eines Schattengebers. Und NXP nimmt dafür viel Geld in die Hand.

Wissensvermittlung mal anders

Der Halbleiterhersteller NXP ist auf Produkte für den sicheren Datenaustausch spezialisiert. Chips für EC-Karten stellt er her, beliefert fast alle großen Smartphone-Hersteller. Seinen Sitz hat NXP als Philips-Ausgründung in Eindhoven, es ist ein Milliarden-Unternehmen mit weltweiten Standorten. 3.300 Fachleute arbeiten im Forschungsbereich von NXP. Der Bedarf hier ist enorm, das Angebot gering. „Eigentlich müssten wir unsere Top-Leute klonen“, sagt Anne-Katrin Bauß, verantwortlich für die Führungskräfte-Nachwuchsgewinnung im NXP-Geschäftsbereich Security & Connectivity. Sie entwarf damals zusammen mit ihrem Vorgesetzten Andreas Moelich, Senior Vice President HR, das Beschattungsprogramm für das Duo Wagner-Hinkelmann. Es sei der beste Weg gewesen, Wissen zu vermitteln, für das sonst „mindestens zehn Jahre Berufserfahrung, wenn nicht mehr nötig gewesen wäre“.

Markus Hinkelmann war damals neu im Unternehmen, und er wollte was lernen. Am besten bei der Koryphäe Wagner. Glaubt man den Schwärmereien Bauß‘, muss es sich bei Wagner um eine wahre Legende handeln. Mehrere Jahrzehnte sei er schon an Bord und maßgeblich beim Aufbau der Abteilung Security beteiligt gewesen. Für 18 Monate wurde Markus Hinkelmann 2013 sein ständiger Begleiter. Und nein, versichert Hinkelmann, man sei sich nicht auf die Nerven gegangen. „Der Start mit diesem Duo war ein voller Erfolg“, sagt auch Anne-Katrin Bauß. Grund genug, das Pilotprojekt der betriebsinternen Beschattung in Serienreife zu bringen.
„Go Shadow! Talent Acceleration Program“, das ist der etwas sperrige Titel für das Programm, das seit Anfang dieses Jahres nun bei NXP läuft und rund eine Million Euro kostet. Nachwuchskräfte beschatten handverlesene Koryphäen von NXP, es wurden dafür zwölf Stellen ausgeschrieben. Zehn Positionen sind bisher besetzt, die Hälfte davon intern. „Es ist für Leute mit großen Ambitionen und entsprechendem Potenzial gedacht“, sagt Anne-Katrin Bauß, gesucht würden die „zukünftigen technischen Rockstars“.

Technisches Geschick allein genügt nicht

Das Programm beginnt mit einer zweimonatigen Anlaufphase, in der Lernziele formuliert werden und ein Plan, wie diese umzusetzen sind. Es folgen die Beschattung und umfangreiche Seminare, unter anderem ein interkulturelles Training. Ziel ist es, Top-Experten heranzuziehen, die nicht nur technisch, sondern auch im Umgang mit Kunden und dem eigenen Management den Anforderungen eines hart umkämpften Marktes genügen. Keine Fachidioten also. Denn allein mit technischen Geschick mag man bei NXP vielleicht Karriere machen – zur Koryphäe wird man aber erst, wenn man auch weiß, wie es sonst so läuft im Unternehmen; sich im Labor genauso sicher bewegt wie bei einer internationalen Kundenpräsentation. Eben wie die Legende Wagner.

So etwas vermittle kein klassisches Traineeprogramm, sagt Markus Hinkelmann. „Dort wird man auf eine konkrete Rolle vorbereitet, zum Beispiel als Ingenieur in einem technischen Teilbereich.“ Der Ansatz des Go-Shadow-Programms sei weit individueller an Schattengebern orientiert, die „abfärben“ können, formuliert es Hinkelmann. Er erlebte Wagner, wie er seine technischen Innovationen im Unternehmen und nach außen präsentierte, im Umgang mit anderen führenden Technikern, bei internationalen Kongressen. Es dauerte nicht lange, dass Hinkelmann selbst eine Produktpräsentation übernehmen konnte, bei einer Kundenshow in der Türkei. „Das war eine Schiene, auf die ich so schnell nicht gekommen wäre als Techniker.“ Das Programm habe seiner Karriere schon im Frühstadium einen Schub gegeben, ist er sicher. Dank der Expertise habe er es vergangenes Jahr beispielsweise in das Young-Leaders-Forum des Asien-Pazifik-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft geschafft.

Vom Schattengeber zum Kollegen

Das Beschattungsprogramm ist für Hinkelmann inzwischen beendet. Im Büro von Wagner sitzt er aber immer noch, fast scheint es, als wollten sich die beiden nicht trennen. Hinkelmann spricht inzwischen vom Kollegen Wagner, die Ehrfurcht scheint etwas geringer als noch vor zwei Jahren. Der Schatten, er ist etwas kleiner geworden.

NXP Semiconductors

Der Halbleiterhersteller mit Sitz im niederländischen Eindhoven ist 2006 aus einer Philips-Ausgliederung entstanden und heute in mehr als 25 Ländern tätig. 2014 kam der Konzern auf einen Umsatz von 5,65 Milliarden Dollar. Zu den Kunden von NXP gehören unter anderem Bosch, Continental, Huawei und Siemens Network. Rund 3.300 Mitarbeiter arbeiten für den Konzern im Bereich Forschung und Entwicklung, insgesamt sind gut 25.000 Mitarbeiter dort beschäftigt. In Deutschland ist das Unternehmen in Hamburg, Dresden, München und Stuttgart ansässig, wobei Hamburg der Hauptsitz ist. Rund 1.800 Mitarbeiter arbeiten an diesen vier Standorten. Anfang März machte der Konzern mit der Übernahme des US-Konkurrenten Freescale Schlagzeilen.

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Thomas Trappe

Thomas Trappe

Freier Journalist
Thomas Trappe lebt in Berlin und schrieb unter anderem für die Süddeutsche Zeitung, die Zeit und die F.A.Z. Heute berichtet er vor allem über Gesundheitspolitik aus der Hauptstadt. In Leipzig studierte Trappe Journalistik und Politikwissenschaften. Er schreibt seit Jahren regelmäßig für den HRM.

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