Wie man selbst­organisiertes Arbeiten erfolgreich einführt

Personalmanagement

Wer als Mitarbeiter selbstwirksam arbeitet, versteht nicht nur die Bedeutung der eigenen Aufgaben – er fühlt sich fachlich und menschlich gestärkt und ist motivierter bei der Sache. Das setzt, wie von Fesseln befreit, eine enorme Energie frei. Und nicht nur das, es gibt weitere willkommene Nebeneffekte: Das Verständnis für Gesamtzusammenhänge im Unternehmen wächst, das unternehmerische Denken wird angeregt, der Wissenshorizont und die Expertise des Einzelnen erweitern sich.

Nicht in einem Ruck, sondern Schritt für Schritt

Kann man selbstorganisiertes Arbeiten in einem Ruck einführen? In wenigen Einzelfällen ist das vielleicht möglich. Doch normalerweise, das sagen alle, die Transformationsprozesse hinter sich haben, sollte das Pendel nicht zu überhastet oder zu hart in Richtung Selbstorganisation schwingen. Denn man muss üben, um zu brillieren. Es gibt verschiedene Level, um sich der Selbstorganisation anzunähern. Dabei ist vor allem die Historie der Unternehmensstruktur und -kultur von Belang.

Ein Blick in die Praxis: Beim Otto-Versand teilten früher die Vorgesetzten die Schichten der Callcenter-Mitarbeiter ein. „Das machen die Kollegen und Kolleginnen mittlerweile komplett selbstständig. Und was das spannende ist: Sowohl die Krankheits- als auch die Fluktuationsquote ist erheblich gesunken“, erzählt Andreas Birken, Vorstandschef der Otto Group, in der Wirtschaftswoche.

Auch beim Unternehmen Favi, einem französischen Metallverarbeiter, haben die Vorgesetzten Verantwortung abgegeben. Dort gab es einen Lagerraum mit Lagerwart, der den Arbeitern Werkzeuge und Material nur dann ausgeben durfte, wenn ein vom Schichtleiter unterschriebener Antrag vorlag. Machte der Lagerwart Pause, war der Raum verschlossen. War der Schichtleiter nicht da, konnte es zu Verzögerungen kommen, die den ganzen Betrieb blockierten. Dann hat man mal sauber gerechnet: Steht eine Maschine still, kostet das x-Mal mehr als ein vorschriftenkonformes Blatt Papier. Seitdem ist der Lagerraum immer offen und es braucht keine Formalien mehr. Das spart eine Menge Zeit und Geld. Wer etwas entnimmt, muss dies nur in ein Bestandsbuch eintragen, damit man den Überblick behält und Ausgehendes nachbestellt werden kann.

Via Level 1 und 2 zu mehr Selbstorganisation

Soviel gleich vorweg: Teammitglieder, die sich zunehmend selbst organisieren, brauchen unbedingt einen Coach, der sie dabei begleitet. Dieser hilft ihnen dabei, sowohl die methodischen als auch die gruppendynamischen Tücken zu meistern. Zudem hängt der Grad der Selbstorganisation von den anstehenden Aufgaben ab, sie passt nicht zu jedem Zweck. Führen Unternehmen Selbstorganisation im großen Stil ein, braucht es das „Go“ von ganz Oben.

Klassische Organisationen bewegen sich zunächst zügig hin zu Level eins: die sich dezentralisierende Organisation. Wer dort angekommen ist, begibt sich in Richtung Ziellevel zwei: die unterstützte Selbstorganisation. Gegebenenfalls steuert man schließlich zu einem Level drei: die komplett selbstgesteuerte Organisation.

Sie ist meiner Einschätzung nach nur für dezidiert ausgewählte Unternehmen geeignet. Auch Soziokratie-Modelle wie Holocracy fallen in diesen Bereich. Komplett selbstgesteuerte Organisation finden wir vor allem in kleineren Unternehmen der IT- und Internetszene. Level eins und zwei jedoch kann jedes Unternehmen erreichen.

Level 1: Die sich dezentralisierende Organisation

In der sich dezentralisierenden Organisation finden wir die ersten Schritte in Richtung Selbstorganisation. Es wird nicht mehr alles zentral gesteuert, Hierarchien sind verflacht. Unternehmen können jetzt im Rahmen von Pilotprojekten oder in Teilbereichen des Unternehmens eine zunehmende Selbstorganisation einleiten.

Vorgesetzte geben immer weniger direktive Anweisungen, immer mehr Entscheidungen verbleiben im Team. Sie visualisieren Aufgaben und Ergebnisse und machen sie für alle offen sichtbar. Dadurch minimiert sich das Berichtswesen, das die Leute nur von der Arbeit abhält. Man nutzt die kollektive Intelligenz systematisch. Mitarbeiter erstellen selbst die Konzepte, mit denen sie die Verfahren optimieren.

Bei all dem sind Erprobungsphasen überaus wichtig, damit sich sowohl die Führungskräfte als auch die Mitarbeitenden in die neue, noch ungewohnte Situation einüben können, und es nicht ständig zu Rückfällen kommt. Eine fehlertolerante Lernkultur begleitet den Weg. Etappensiege sollten Sie feiern!

Level 2: Die unterstützte Selbstorganisation

Die unterstützte Selbstorganisation ist ein sehr gangbarer Weg für einen Großteil der klassischen Unternehmen. Operative Entscheidungen und die Verantwortung dafür verbleiben komplett im Team. Dies erfordert von jedem Mitarbeiter Selbstführung, eine offene Lernhaltung und die Bereitschaft zu konstruktiver Auseinandersetzung. Alle an einer Aufgabe Beteiligten organisieren sich gemeinsam – im Rahmen der gemeinsam bestimmten Regeln und Ziele, an die man sich konsequent hält.

Kontrolle findet nicht über den Vorgesetzten, sondern durch die Teammitglieder und auch über die Kunden statt. Die Führung achtet vor allem darauf, dass nichts Operatives zu ihr zurückdelegiert wird. Nur noch in Ausnahmefällen und in strategischen Kontexten greift sie direktiv ein. Ansonsten ist sie vor allem möglichmachend aktiv.

Es gilt, die Selbstverwaltung im Team zu stärken und Hindernisse auf dem Weg zu optimalen Arbeitsergebnissen fortzuräumen („Was braucht ihr?“). So sorgt die Führung für perfekte Rahmenbedingungen und umfassende Entwicklungsmöglichkeiten. Das Tagesgeschäft erledigen die Teams nun selbstbestimmt und autonom.

Lesen Sie auch:5 Best Cases für selbstorganisierte Teamarbeit

Das Buch zum Thema

Anne M. Schüller, Alex T. Steffen
Die Orbit-Organisation
In 9 Schritten zum Unternehmensmodellfür die digitale Zukunft
Gabal Verlag 2019, 312 Seiten
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Anne M. Schüller, Autorin und Business Coach

Anne M. Schüller

Anne M. Schüller ist Keynote-Speakerin, Businesscoach und Autorin, unter anderem von Die Orbit-Organisation. In 9 Schritten zum Unternehmensmodell für die digitale Zukunft. Die Diplom-Betriebswirtin wurde 2015 in die Hall of Fame der German Speakers Association aufgenommen. Beim Business-Netzwerk Linkedin wurde sie Top-Voice 2017 und 2018. Von Xing wurde sie zum Spitzenwriter 2018 und zum Top Mind 2020 gekürt. Ihr Touchpoint Institut bildet zertifizierte Touchpoint Manager und zertifizierte Orbit-Organisationsentwickler aus.

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