Wie Kanzleien ihr HR-Management professionalisieren

Arbeitsrecht

Lange waren für das Management in Anwaltskanzleien deren Partner zuständig, meist machten sie das nebenbei. Das ändert sich gerade: Immer mehr Sozietäten professionalisieren ihr Management, zum Beispiel im HR-Bereich. Anders ist man nicht mehr konkurrenzfähig.

Markus Hartung ist sein eigenes Auslaufmodell. Der Anwalt kann auf eine sehr erfolgreiche Juristenkarriere zurückblicken – und zwar von einer schönen Etage eines Berliner Altbaus aus, unweit des Kurfürstendamms. Hartung arbeitet hier immer noch sehr erfolgreich, in einer Kanzlei mit kleinem Team, in der er aber nur sich selbst gegenüber Rechenschaft schuldig ist. Ein klassischer Anwalt eben, könnte man meinen, wenn man mit dem Mann nicht darüber sprechen würde, dass eben jene kleinen Anwalts-Boutiquen, wie er sie betreibt, keine große Zukunft mehr haben. Denn das ist Hartungs Job: Kanzleien dabei beraten, wie sie sich eine professionelle Managementstruktur geben und Mitarbeiter wie in einem mittelständischen Unternehmen auf eine einheitliche Strategie einschwören. Was eine große Herausforderung ist, weil Sozietäten klassischerweise Partnern gehören, die sich nur ungerne etwas sagen lassen. „Mir geht es ja selbst so“, sagt Hartung, deshalb arbeite er auch nicht mehr in einer Großkanzlei. Er sei aber auch weitgehend konkurrenzlos in seinem Feld, sagt Hartung fast entschuldigend, daher könne er sich dieses Privileg leisten.

Markus Hartung betreibt in Berlin The Law Firm Companion und ist Direktor des Bucerius Center on the Legal Profession. Vor mehr als zwanzig Jahren trat er als Juniorpartner in die Kanzlei Oppenhoff & Rädler ein, wurde wenig später Partner – und begleitete seitdem eine Entwicklung, die in Deutschlands Kanzleien bis heute läuft. War es früher üblich, dass Sozietäten von den Partnern auch verwaltet und organisiert werden, gibt es heute meist ein professionelles Management. Eigene Abteilungen für die IT zum Beispiel, für das Controlling, das Marketing – und eben auch die HR. Es ist ein Prozess, der den gesamten Markt der sogenannten Professional Service Firms (PSF) betrifft, also jene Branchen, in denen Wissen und Erfahrungen das Wirtschaftsgut sind, ein berufsständisches Selbstbewusstsein das Fundament. Zumal PSF in den vergangenen Jahren eher größer werden, kleine Kanzleien und Einzelkämpfer zunehmend seltener.

2001 fusionierte Oppenhoff & Rädler mit der britischen Kanzlei Linklaters – das Unternehmen mit weltweit rund 2.600 Anwälten und mehr als 400 Partnern gehört heute zu den drei größten auf dem deutschen Markt und zu den zehn umsatzstärksten weltweit. Bei Oppenhoff & Rädler hatte Hartung bereits eine eigene IT-Abteilung aufgebaut, nun war er damit betraut, die Fusion mit Linklaters vorzubereiten. „Es war kein Spaziergang“, sagt Hartung, und wenn man das nicht Zitierfähige berücksichtigt, das er dazu noch auf Lager hat, möchte man gerne zu martialischen Ausdrücken greifen. Es galt jedenfalls, eine Sozietät, „die sehr breit aufgestellt war und in der viele Partner ihr eigenes Ding machten, so umzubauen, dass alle einer einheitlichen Strategie folgen“. Es ging um Standardisierungen, Fokussierungen – und letztlich darum, alle Partner auf eine gemeinsame Linie zu bringen. „Die Partner sind die Eigentümer, keine Angestellten, denen man Vorgaben machen kann“, sagt Hartung. 40 von 120 Partnern verließen zur Fusion Oppenhoff & Rädler, erinnert er sich. Von den verbliebenen seien heute nur noch die wenigsten an Bord von Linklaters. „Es hat ein kompletter Blutaustausch stattgefunden.“ Was nur konsequent ist, weil man ja die komplette DNA der Firma ersetzen wollte, um im Bild zu bleiben.

Was bei Linklaters passierte, fand und findet bis heute überall im PSF-Bereich statt, zum Beispiel auch bei Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. „Das ist ein Trend, den wir seit den 90ern beobachten“, sagt Stephan Kaiser, der als Professor an der Universität der Bundeswehr in München am Institut für die Entwicklung zukunftsfähiger Organisationen lehrt und unter anderem spezialisiert ist auf PSF. Grund für den Wandel sind verschärfte Marktbedingungen, vor allem im juristischen Bereich. „Es wird von der Mandantenseite sehr viel Druck auf die Margen ausgeübt“, sagt Kaiser. Kosten müssten gedrosselt werden, und zwar ohne Qualitätsverlust. „Das heißt, dass Topjuristen dann auch nur dort eingesetzt werden sollten, wo sie top sind“ – und nicht etwa ihre teure Zeit mit Verwaltungsarbeit verschwendeten. Professionelle Strukturen würden umso notwendiger, je größer die Unternehmen seien, sagt Kaiser.

Großer Druck im IT-Bereich

Den Königsweg hin zur Professionalisierung suchen dabei viele PSF in Deutschland noch, und natürlich gibt es auch welche, die weiterhin traditionell partnerschaftlich organisiert sind. Der größte Druck bestünde laut Kaiser im IT-Bereich der Firmen, da es hier die größten und schnellsten Entwicklungen gebe. So müssten in Kanzleien oder Wirtschaftsprüfungsgesellschaften Dokumentenwüsten nicht mehr von einem Juristen durchforstet werden, sondern könnten von einem Computer auf Auffälligkeiten hin überprüft werden. Controlling und Marketing stünden meist ebenfalls ganz oben auf der Prioritätenliste bei der Professionalisierung von PSF. „Der Bereich HR ist in Kanzleien dabei immer noch das, was am ehesten von den Partnern nebenbei gemacht wird“, sagt Kaiser. Weil sie gerne mitredeten, wenn es um den Nachwuchs in der Firma gehe.

Die Luther Rechtsanwaltsgesellschaft legt dann auch Wert darauf, dass man hier keineswegs das partnerschaftliche Modell völlig über Bord werfen möchte. „Wir wollen das Beste beider Welten miteinander verbinden“, sagt Torsten Schneider, der bei der Kölner Kanzlei als Director Human Resources seit ein paar Jahren die Organisationsstruktur professionalisiert. Partner seien daher auch weiterhin eng in Entscheidungsprozesse eingebunden, sagt Schneider, nur müssten sie nicht mehr alleine den Weg dorthin finden. „Das partnerschaftliche Modell wird bei uns hochgehalten.“

Luther ist eine Sozietät mit 350 Anwälten und Steuerberatern, eine Ausgründung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY, in deren Verbund sie vorher die Rechtsberatung übernahm. „Wir waren aus unserer Vergangenheit schon immer managementorientierte Prozesse gewohnt“, sagt Schneider, der vor wenigen Jahren zu Luther kam. Er hat den Eindruck, dass Anwälte „mit ihrem Bedürfnis nach Struktur und Systematik prinzipiell sehr offen sind für eine Professionalisierung der Organisation“. Was aber nicht hieße, dass es keine Gegenwehr gebe. „Partner reklamieren in der Regel ein großes Mitspracherecht – und das auch mit großem Selbstbewusstsein.“

Aktuelle Trends im Personalmanagement

Schneider ist davon überzeugt, dass sich größere Sozietäten wie Luther nicht mehr ohne eine professionelle HR-Abteilung und moderne HR-Prozesse managen lassen. „Selbst wenn der verantwortliche Partner ein Arbeitsrechtler ist, fehlt ihm die Erfahrung bei der praktischen Umsetzung aktueller Trends im Personalmanagement“, sagt er. „Es gibt ohne diese Erfahrung zu viele Gefühlsentscheidungen. So funktioniert aber HR langfristig nicht.“ Auch Schneider verweist auf Marktmechanismen in der Anwaltsbranche, die eine Professionalisierung unumgänglich machten. Für Luther sei es nötig, sich für potenzielle Bewerber attraktiver zu machen: Umso am Ende Geld zu sparen.

Denn bei Top-Juristen habe sich in den zurückliegenden Jahren ein Mangel eingestellt, in dessen Folge sich Kanzleien gegenseitig bei den Einstiegsgehältern überbieten, sagt Torsten Schneider. „Wir haben uns entschieden, dass wir mehr bieten müssen als nur eine attraktive Vergütung. Was für uns heißt, dass wir den Nachwuchs mit einem professionellen Bewerbermanagement und einer umfassenden Personalentwicklung überzeugen müssen.“ Denn außerhalb monetärer Argumente hätten viele Konkurrenten nicht viel zu bieten, was mitunter daran liege, dass es zu wenig Know-how über gute HR-Arbeit gebe. Schneider verweist als Beispiel auf Spitzen-Bewerber, die sich bei anderen Kanzleien bewerben und dann wochenlang auf eine Reaktion warten müssten. In diesem Bereich und bei den Weiter- und Fortbildungen habe man sich bei Luther durch die Professionalisierung inzwischen deutlich besser positioniert, sagt der Personalmanager.

Das sind Verkaufsargumente, die für viele Juristen der älteren Generation geradezu skurril anmuten müssen. Es ist nicht lange her, da stand es für Anwälte fest, dass ihr Ziel eine Führungsposition in der Kanzlei sein muss, befördert durch ein System, dass eigentlich nur die Optionen Auf- oder Ausstieg zulässt. Doch immer mehr angehende Juristen würden sich dieses Karrieremodell gar nicht mehr wünschen, sagt Schneider, „sondern eher eine Fachkarriere“. Was heißt, dass sie gerne dauerhaft als hochspezialisierte Experten in ihrem Bereich tätig sein wollten, mit Fokus auf die anwaltliche Arbeit und ohne die Verantwortung für Akquise und Mitarbeiterführung. „Das wird zunehmend zu einer Herausforderung für die Branche“, sagt Schneider, „weil sich viele dem Druck, den eine Führungskarriere mit sich bringt, nicht mehr unbedingt aussetzen wollen“.

Stephan Kaiser von der Universität der Bundeswehr sieht diesen Trend ebenfalls. Solche an Industriekarrieren angelehnten Lebensläufe würden erst möglich, wenn ihnen ein professionelles Management zur Seite steht. „Und es hilft, dem Margendruck in der Branche zu begegnen“, sagt Kaiser, weil diese Experten effizienter als traditionelle Partner Mandate bearbeiten könnten.

Immer wieder an die Strategie halten

„Wenn eine Kanzlei komplexe Mandate bearbeiten will, muss sie sicher sein, dass sie von jetzt auf gleich die richtigen Experten aktivieren kann“, sagt auch Berater Markus Hartung. „Das geht nur mit
einem professionellen Management.“ Das bedeute durchaus Druck in gemanagten Sozietäten, „weil Partner ein hohes Maß an Disziplin brauchen, sich immer wieder zwingen müssen, an eine vorgegebene Strategie zu halten“. Hartung selbst muss das seit seinem Ausstieg bei Linklaters nicht mehr, stattdessen gibt er seine Erfahrungen weiter. Und nicht umsonst hat Hartung noch ein weiteres Spezialgebiet, das er mit seiner Kanzlei anbietet: Die Mediation bei gesellschaftsrechtlichen Auseinandersetzungen.

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Thomas Trappe

Thomas Trappe

Freier Journalist
Thomas Trappe lebt in Berlin und schrieb unter anderem für die Süddeutsche Zeitung, die Zeit und die F.A.Z. Heute berichtet er vor allem über Gesundheitspolitik aus der Hauptstadt. In Leipzig studierte Trappe Journalistik und Politikwissenschaften. Er schreibt seit Jahren regelmäßig für den HRM.

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