Technikstress – ein neues Phänomen?

Personalmanagement

Differenzierte Perspektiven auf einen vielschichtigen Gegenstand

Technikstress ist kein generell neues Phänomen. Nur wird es aktuell etwas deutlicher diskutiert. Dabei geht die Diskussion in der Öffentlichkeit eher in die negativ belegte Bedeutung dieses vielschichtigen Begriffes. Der Begriff „Stress“, in Zusammenhang mit der Nutzung neuer technischer Möglichkeiten, muss aber auch in Zusammenhang mit positiven Effekten, wie zum Beispiel Anregungs- und Aufwärmeffekten, Erfolgserleben, Kompetenzzuwachs, Entdecken virtueller Welten und neuen Möglichkeiten in globalem Informationsaustausch diskutiert werden. Das ist zum Teil großartig und faszinierend. Trotzdem sollten wir gerade die schnelle Veränderung unserer Welten genauer unter die „wissenschaftliche Lupe“ nehmen. Da sind sowohl die Arbeits- und die Privatwelt zu betrachten, aber auch der öffentlich-gesellschaftliche Raum mit den damit verbundenen Optionen. War es vor einiger Zeit noch die physische Belastung im Arbeitsalltag, so ist es in den letzten Jahren die psychische Belastung, die es zu untersuchen gilt. Während C. Brod 1984 in seinen Untersuchungen den Begriff „Technostress“ nur auf die direkte Arbeit des Nutzers am PC bezog, untersuchen Wissenschaftler heute Beanspruchungen durch Technik allgemein breiter.

Wie vernetzte Teams von Technikstress profitieren können

Bereits 2004 begannen mein Team und ich mit einer ersten Studie im Ergonomielabor an der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) in Cottbus die Grundlagenforschung im Bereich Technikstressforschung. Nach und nach kamen über 90 Projekte mit Unternehmen dazu und so wurde eine interessante Feldforschung mit Praxisbezug zusätzlich aufgebaut. Erste Erkenntnisse zu Technikstress in belastenden Arbeitssituationen konnten zum Beispiel durch plötzliches Technikversagen und dadurch entstehenden Zeitdruck gewonnen werden. Der Nachweis gelang, indem Versuchsteilnehmern beim Abschreiben eines Textes am Computer softwareseitig Fehler versteckt eingebaut wurden. Es zeigten sich erhöhte Hautleitwerte, aggressives Verhalten und subjektives Negativerleben, welche Rückschlüsse auf erhöhte Beanspruchung zuließen. Interessant war auch das differenzierte Suchverhalten von männlichen und weiblichen Probanden. Während die Probandinnen nach kurzer Fehlersuchzeit die Arbeit von vorn begannen, um in der vorgegebenen Zeit das Ziel zu erreichen, suchten die männlichen Probanden sehr lange nach dem Fehler, oft bis zum Versuchsende. Daraus ergaben sich gute Ansätze zur Zusammensetzung der Teams in der virtuellen Arbeit. Denn beides, sowohl Ergebnisorientierung als auch Wettbewerbsorientierung, werden zukünftig in digital vernetzten Teams gebraucht werden. Diese Teams sind sehr leistungsstark, wenn sie den Konkurrenzdruck nicht im Inneren des eigenen Teams erleben, sondern als Druck der Konkurrenz von außen.

Technikstress in der Pandemie

Die Ergebnisse sind durchaus auch unter aktuellen Corona-Bedingungen anwendbar. Viele Video- oder Telekonferenzen werden momentan durchgeführt. Unmengen von technischen Möglichkeiten stehen uns dafür zur Verfügung. Welche ist die Richtige? Welche entspricht den Datenschutzrichtlinien? Welche ist mit meiner Technik kompatibel? Dazu kommt das Versagen von einzelnen Funktionen während der Konferenzen. Die Lautsprecher müssen teilweise ausgeschaltet werden, die Kamerafunktion bricht immer wieder ab und vieles mehr – Kinderkrankheiten der Technik, die sehr belastend sind und Technikstress auslösen. Auch Kommunikation und Führung findet lockdownbedingt immer häufiger technisch vermittelt statt. Das sind neue und nicht zu unterschätzende Bedingungen, deren langfristige Auswirkungen sich momentan nur vermuten lassen. Auch wenn noch wenig gesicherte Erkenntnisse dazu vorliegen können, ist davon auszugehen, dass Führung sich ebenfalls verändern wird.

Ursachen für Technikstress

Es ist zu vermuten, dass Menschen, die nur am PC zu Hause allein arbeiten, keine starke Bindung zu dem Unternehmen aufbauen und deshalb schneller wechseln, wenn es sich für sie lohnt. Motivation und Anstrengungsbereitschaft wird nicht nur aus der Aufgabe selbst geschöpft, sondern, gerade in Stresssituationen, aus der Zugehörigkeit und direkten Ansprache. Das gilt wiederum nicht nur für Mitarbeiter, sondern auch für Führungskräfte. Mehr und mehr werden wir multifunktional. Jeder hat sein „eigenes Sekretariat“ zur Verwaltung von Passwörtern, Tools, Installationsvarianten, Ordnern, Zugängen und vielem mehr. Auch hierin ist eine weitere Bedingung für Technikstress zu sehen. Also entsteht Technikstress nicht nur beim direkten Umgang mit Technik, sondern auch beim indirekten, also schon bei der Auswahl der Technik und der Akzeptanz oder eben Nichtakzeptanz von Arbeitsbedingungen mit den technischen Produkten. Dazu kommt noch die Multifunktionalität vieler Geräte. Wir leben in einer „Entscheidungswelt“. Dabei kann das Fehlen verbaler oder nonverbaler Informationen Unsicherheit auslösen, was wiederum zu Beanspruchungen führt. In den laufenden Laborstudien werden gerade Pausenregelungen für Kurzpausen bei PC-Arbeit überprüft. Damit kann eine Empfehlung erarbeitet werden, die Gesundheitsgefährdungen zumindest reduziert. Denn es ist davon auszugehen, dass zu verstärkten Schwierigkeiten durch die Techniknutzung weitere, neuartige Phänomene hinzukommen könnten, die durch die Isolation und das Fehlen von direktem Austausch unter den Mitarbeitern bedingt sind.

Handlungsregularien zur Vermeidung von Technikstress

Dazu möchte ich fünf ausgewählte Handlungsregularien nennen, die ich in meiner Forschung erarbeitet und veröffentlicht habe:

  • „Der Aktive bleibt aktiv“ Wenn eine Telefonverbindung nicht zu Stande kommt, bleibt immer der Anrufer aktiv. Diese Regel muss im Team kommuniziert werden.
  • „Bewerten Sie sich nicht über Ihre Technik“ Wenn Technik versagt, liegt es oft an der Komplexität, nicht an Ihnen als Nutzer. Haben Sie Vertrauen in Ihre Kompetenzen.
  • „So viel wie nötig, nicht so viel, wie möglich“ Wenn Sie die Arbeit mit neuer Technik planen, bedenken Sie die Aufgaben, die Sie mit ihr lösen wollen. Wählen Sie die Technik nach Ihren Anforderungen aus: altersgerecht, tätigkeitsgerecht, zielorientiert.
  • „Planen Sie Ihre Arbeit vorausschauend.“ Wenn Sie die Pufferzeiten und Abfolgen in Ihrer Arbeitsorganisation planen, beziehen Sie die Nutzung der Technik mit in Ihre Überlegungen bewusst ein. Auch das Papier kann alle sein, also planen Sie detailliert.
  • „ Denken Sie an sich.“ Planen Sie sinnvolle Pausen ein und überlegen Sie sich die Erholungsmöglichkeiten. Bedenken Sie, ohne Ihre Arbeit nutzt die beste Technik nichts!

Diese Handlungsregularien müssen in den Unternehmen einheitlich durch die Führungskräfte kommuniziert und trainiert werden.

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Annette Hoppe, Professorin für Arbeitspsychologie

Annette Hoppe

Prof. Dr.-Ing. habil. Dr. paed. Annette Hoppe ist Leiterin des Fachgebiets Arbeitswissenschaft / Arbeitspsychologie der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) Cottbus-Senftenberg und der Kooperativen Forschungsstelle Technikstress (KFT).

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