Genderbashing ist keine Antwort auf die Zukunft der Arbeit

Future of Work

Wie wollen wir in Zukunft leben und arbeiten? Wie können wir mehr Selbstbestimmung erreichen? Lasst uns gemeinsam anpacken, fordert Eva Stock.

Als Frau lernt man meist früh, welches Verhalten nicht okay ist, was nicht der Norm entspricht. Als ich mich damals auf dem Grundschulhof mit einem Jungen geschlagen habe, der mich drangsaliert hatte, wurde ich mit den Worten „Eva, Mädchen machen sowas nicht“ gemaßregelt. Die richtige Aussage wäre gewesen: „Eva, Gewalt ist besch… und sowas macht man nicht. Nutze mal lieber dein Gehirn.“

Als Mann lernt man auch meist früh, welches Verhalten nicht okay ist und was nicht der Norm entspricht. Zu sensibel darf man nicht sein – sich nicht alles gefallen lassen, lautet die Devise. Die Rangordnungen und Hierarchien werden bereits im Kindergarten ausgehandelt. Spätestens dann in der Grundschule weiß jeder, wo sein Platz in der Hackordnung ist.

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Boys will be boys, girls will be girls – so einfach ist die Rechnung nicht mal mehr im Internet.

Was Mädchen und Frauen auch heute alles nicht machen dürfen, das kann man überall im Internet nachlesen. Und wenn sie zu kontroversen Debatten eine Meinung äußern, können sie sich sicher sein, dass von irgendwoher ein Mann kommt. Ein Mann, der nochmal erklärt, Dinge einordnet und einem mitteilt, dass man die Sache entweder ganz falsch oder doch zumindest sehr, sehr einfach betrachtet. Oder der einen einfach beleidigt.

Was Jungs und Männer heute alles nicht machen dürfen, das kann man auch überall im Internet nachlesen. Wenn sie sich zu kontroversen Debatten äußern, können sie sich auch ziemlich sicher sein, dass von irgendwoher ein Mann kommt, der nochmal erklärt, Dinge einordnet, oder eine Frau, die einfach beleidigt.

Karriere ist kein Zuckerschlecken. Für niemanden.

Ich kann für meine persönliche Karriere sagen, dass es genauso viele Frauen wie Männer gab, die meine Karriere wahlweise behinderten oder beförderten. Und keine Angst: Ich habe irgendwann sehr gut gelernt, mein Gehirn und meinen Mund einzusetzen, statt jemandem eine zu ballern, wenn ich mit seiner Art und Weise nicht zufrieden war.

Ich habe aber auch gelernt, dass es normal ist, hier und da mal eine „harmlose“ Belästigung mitzubekommen oder die bescheuerten Sprüche nach dem dritten Bier auszuhalten. Väter, Brüder, Söhne.

Ich musste die Führungskraft ertragen, die mich im Workshop vollkommen auflaufen ließ, weil ich im Vorfeld nicht genug auf ihre privaten Geschichten eingegangen bin. Und als ich dann im von mir moderierten Workshop kontrovers diskutieren wollte und nicht „brav und nett“ war, wurde ich von eben dieser Führungskraft als überemotional dargestellt und verlacht. Fünf männliche Workshop-Teilnehmer schauten derweil betroffen auf den Boden. Väter, Brüder, Söhne.

Ich weiß, wie es ist, wenn man als Frau von Frauen geschnitten wird, weil man eine andere Einstellung zum Job hat. Wie es ist, nicht für eine Beförderung in Frage zu kommen, weil man sich nicht für das Privatleben der Chefinnen interessiert. Mütter, Schwestern, Töchter.

Wie es ist, wenn eine Frau zu einem sagt, dass sich „die ganzen Mädels mal alle nicht so anstellen sollen“, immerhin sei sie auch schon massiv sexuell belästigt worden. Man sage dann einfach dem Gegenüber, dass das dumm sei und gehe. Dass es Frauen gibt, die das nicht können, war für diese Person kein Argument.

Ich weiß wie es ist, wenn man zu seinen Familienplänen beim Mittagsessen von einer weiblichen Führungskraft „total unverfänglich“ ausgefragt wird – „ob man ganz sicher nicht doch bald Kinder bekommen möchte“. Mütter, Schwestern, Töchter.

Ich weiß aber auch, wie es ist, wenn man als Frau den Karriereschub von einem Mann bekommt. Dass man ohne sexuelle Konnotation und Hintergedanken ehrliches Lob und wirkliche Dankbarkeit bekommen kann. Ich weiß, wie es ist, in Netzwerken tolle Frauen und Männer kennenzulernen, die einen ganz selbstlos unterstützen oder einem unheimlich dankbar für einen Rat sind. Wie es ist, wenn man Dinge, die einem unangenehm sind, anspricht und wie sich dann plötzlich eine Situation dreht.

Ich weiß nicht, wie es ist, ein Mann zu sein, aber ich kann sagen, dass ich sehr viele sehr coole und entspannte Männer kenne, die sehr offen über sich sprechen. Die es gut finden, wenn sie weder nach ihrer „Männlichkeit“ noch nach sonstigen stereotypen Kriterien bewertet werden. Die auch keine Lust auf einen Primaten-Zirkus haben, in dem der stärkere Recht hat. Die selbst belästigt oder drangsaliert wurden (auch von Frauen).

Ich weiß auch nicht, wie es ist, sich mit drei Jobs im Niedriglohnsektor über Wasser halten zu müssen und dabei nicht den Glauben an diese Welt und den Sozialstaat zu verlieren. Ich bin privilegiert. Ich bin weiß, habe keine körperliche oder geistige Beeinträchtigung, bin in einer nicht immer einfachen, aber liebenden Familie aufgewachsen, habe viel Selbstbewusstsein mitbekommen und muss meine Identität niemandem erklären.

Du kannst Dich in eine Rolle drängen lassen, oder Wut in positive Energie umkehren, die auch denen nutzt, die ihre Stimme nicht erheben (können).

Ich kenne Mütter, die hochschwanger oder aus der Elternzeit heraus einen neuen Arbeitgeber gefunden haben, der ihnen vertraut und sich mit ihnen gefreut hat, statt ihnen zu sagen, dass ihre Karriere nun zu Ende ist. Ich kenne Frauen, die ihre Sicht auf ihre Karriere ändern, nachdem sie Kinder bekommen haben und nun vor der Aufgabe der Vereinbarkeit stehen. Ich kenne Frauen, die am Höhepunkt ihrer Karriere aufhören – nicht, weil sie schwanger werden, sondern weil sie keine Lust mehr haben.

Ich kenne Väter, für die es selbstverständlich ist, die Care-Arbeit zu machen. Ich kenne Männer, die ihr Leben ändern, weil für sie die Familie oberste Priorität erlangt oder sie einfach keinen Bock mehr haben, in der Business-Welt mitzuspielen. Ich kenne Männer, die keine Lust auf toxische Männlichkeit haben oder darauf, irgendeinem Rollenbild entsprechen zu müssen, mit dem sie sich nicht identifizieren wollen.

Ich würde mir wünschen, dass all diese Väter, Brüder, Söhne und all diese Mütter, Schwestern, Töchter – gerade in den privilegierten Positionen im Unternehmen – aufstehen und sagen: „Ja“, wir brauchen mehr Frauen und generell mehr Diversität in den Führungsetagen und verantwortungsvollen Positionen. Und „Ja“, wir entwickeln dafür auch Konzepte zur Vereinbarkeit. Weil wir es uns schlicht nicht mehr leisten können, Talent zu verplempern.

„Ja“ dafür, dass von jeglichen Konzepten der Vereinbarkeit alle profitieren können – unabhängig von Geschlecht oder sexueller Orientierung.

„Ja“ dafür, Diversity als einen Motor für Toleranz im Allgemeinen zu sehen – gegen Ausgrenzung und Reduktion auf körperliche Merkmale.

„Ja“ dafür, es laut zu hinterfragen, wenn ein Vorstandsgremium, eine Konferenz, ein Expertengremium nicht paritätisch besetzt ist. Und damit meine ich nicht nur geschlechtsspezifisch.

„Ja“ dazu, sich nicht in kleinkarierte Diskussionen zu verrennen, wenn es um die große Sache geht. Mütter, Väter, Söhne, Töchter, Schwestern, Brüder.

Wir sind die Veränderung und haben die Macht, ein Umdenken aktiv zu befördern. Veränderung erfordert klare Haltung.

Wir sind die Veränderung! Es bringt nichts, sich gegenseitig zu zerfleischen, sich Geschichten um die Ohren zu hauen, weshalb wer wann wo den Job aufgrund seiner primären Geschlechtsmerkmale wahlweise bekommen oder nicht bekommen hat.

Es geht in Deutschland nun vor allem darum, eine Zukunft der Gesellschaft und insbesondere der arbeitenden Gesellschaft zu formen. Wie wollen wir leben? Wie wollen und können wir überhaupt in Zukunft arbeiten? Wie können wir durch mehr Freiheiten, eventuell auch durch Grundeinkommen verhindern, dass die Schere in der Gesellschaft und in den Köpfen weiter auseinander geht?

Wie können wir mehr Selbstbestimmung erreichen – für alle Menschen und Gesellschaftsschichten? Wie können wir Solidarität in den kommenden Jahrzehnten leben, wenn die Welt immer komplexer und unberechenbarer wird. Wie können wir einen ethischen und moralischen Kompass entwickeln?

Das sind die Fragen der Zukunft. Und dieser Weg wird für alle Bürger kein leichter – unabhängig vom Geschlecht oder Herkunft. Weshalb sich daher das Leben noch künstlich erschweren?! Lasst uns gemeinsam anpacken. Es gibt viel zu tun! Fangt in Eurem eigenen Unternehmen an, entfaltet Wirkung, wo immer ihr könnt. Eignet Euch eine eigene Meinung an und bildet Euch eine Haltung und tragt diese nach außen. Unterstützt Euch gegenseitig, egal ob Mann oder Frau – supportet Meinungen, die ihr richtig und wichtig findet. Traut Euch, für Euch selbst und andere einzustehen! Traut Euch, Mensch zu sein!

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Eva Stock, Job Ufo

Eva Stock

Eva Stock ist Head of Business Relations bei Jobufo, einem innovativen Recruiting-Anbieter aus Berlin. Sie bloggt zudem auf hrisnotacrime.com über HR-Themen.

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