Wie sich der Gender Pay Gap über Nacht schließen ließe

Personalmanagement

Noch immer verdienen Frauen überall auf der Welt weniger als Männer, auch für gleiche und gleichwertige Tätigkeiten, sogar in ein und demselben Unternehmen. Dabei ließe sich der Gender Pay Gap in jedem Unternehmen über Nacht schließen.

Wenn es in diesem Tempo weitergeht, dauert es – je nach Berechnung – noch ungefähr hundert Jahre, bis die Lohnlücke beseitigt ist. Im Einzelfall bleibt die Ungleichbehandlung von Mann und Frau jedoch häufig unsichtbar. Das ist umso erstaunlicher, als das Geschlecht der Beschäftigten zu den demografischen Merkmalen gehört, die Personalabteilungen zu ausnahmslos allen Beschäftigungsverhältnissen erfassen. Der Gender Pay Gap ließe sich innerhalb eines Unternehmens also leicht berechnen. Wie kann es da sein, dass – in Deutschland, im Jahr 2021– Frauen im gleichen Unternehmen für gleiche und gleichwertige Tätigkeiten noch immer weniger verdienen als ihre Kollegen? Ist es wirklich so schwer, diesen Missstand endlich aus der Welt zu schaffen? In aller Kürze: Nein, es ist ein Leichtes, die Lohnlücke – Unternehmen für Unternehmen– zu schließen.

Dazu braucht es im ersten Schritt eine Analyse. Denn die meisten Unternehmen gehen davon aus, alle Beschäftigten gerecht zu bezahlen, ohne ihre Entgeltstrukturen jemals systematisch auf Ungleichbehandlungen überprüft zu haben. Liegen die Ergebnisse Schwarz auf Weiß vor, ist die Überraschung oft groß. Zum Glück aber auch der Wille, zu handeln und die Einkommensunterschiede zu beseitigen.

Klischees und ­Regelungen von gestern

Und langsam tut sich etwas. Das Bewusstsein für die Ungerechtigkeit wächst, die Lücke schrumpft. Die Ursachen für die Diskriminierung bei der Bezahlung sind inzwischen gut erforscht.

Eine der größten Hürden sind die überaus wirkmächtigen Stereotypen und Klischees in unser aller Köpfen und der Mangel an Unterstützung in Pflege und Erziehung. Hinzu kommen überholte Gesetze, die die Situation verschärfen. Das unzeitgemäße, in den 1950ern eingeführte Ehegattensplitting fördert bis heute die Alleinverdienen­denehe und bewirkt, dass die Person mit dem geringeren Einkommen die Erwerbstätigkeit einschränkt oder aufgibt– bis heute meist die Frau. Ein Teufelskreis: Wer weniger verdient, bleibt zu Hause, und wer zu Hause bleibt, verdient weniger. Laut einer Auswertung des Statistischen Bundesamts verdiente nur bei 14 Prozent aller Paare 2017 sie mehr als er. 45 Prozent beträgt der Einkommensunterschied zwischen Männern und Frauen über den gesamten Berufslebensverlauf vom Berufseinstieg bis zur Rente, errechnete die Bertelsmann Stiftung 2020. Am Ende bekommen, so das Ergebnis des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung 2017, Frauen nicht einmal halb so viel Rente wie Männer. Auch ein Vergleich der Nettoeinkünfte von Frauen und Männern seitens des Familienministeriums zeigt das Ausmaß der Schieflage: Weniger als jede vierte Deutsche verfügt über ein eigenes Einkommen von mehr als 1.500 Euro. Wirtschaft­liche Unabhängigkeit sieht anders aus.

Geld als Schlüssel zur Chancengleichheit

Noch immer enthalten Arbeitsverträge Verschwiegenheitsklauseln, die es Beschäftigten untersagen, über ihr Gehalt zu sprechen. Dass diese Klauseln in den meisten Fällen gar nicht rechtskräftig sind, wissen die wenigsten. Und Transparenz ist eines der wichtigsten Instrumente auf dem Weg zur Entgeltgleichheit.

Das Recht auf gleiche Bezahlung wurde schon 1919 von Frauenrechtlerinnen in New York gefordert und ist seit 1951 als Kernarbeitsnorm international verankert. Seit 2015 stehen die Gleichstellung von Männern und Frauen sowie die Forderung nach gleichem Entgelt für gleiche und gleichwertige Tätigkeiten auf der globalen Agenda der Vereinten Nationen. Und seit 2017 sichert das Entgelttransparenzgesetz Beschäftigten in Deutschland einen Auskunftsanspruch zu und fordert Unternehmen auf, ihre Entgeltstrukturen zu überprüfen. Doch bis heute sind die Pflicht zur Entgeltgleichheit und das Recht auf gleiche Bezahlung kein Garant für faire Behandlung am Arbeitsplatz.

Die gute Nachricht: Die meisten Unternehmen wollen ihre Beschäftigten fair bezahlen, ob mit oder ohne Entgeltgleichheitsgesetze. Wer will, kann den Gender Pay Gap über Nacht schließen. Und verfügt damit zugleich über ein ganz hervorragendes Instrument für das Monitoring der Fortschritte in Sachen Gleichstellung. Denn während die Erfolge vieler Maßnahmen in den Bereichen Gleichstellung, Diversität und Inklusion kaum oder nur schlecht messbar sind, lässt sich ungerechte Bezahlung sehr leicht am Gehaltszettel ablesen. An dieser eindeutigen Größe lässt sich immer wieder neu messen, wie gut das Unternehmen dasteht, um gegebenenfalls nachzusteuern.

Dazu braucht es – neben einer gründlichen Entgeltanalyse – klare Spielregeln und Kriterien für die Bewertung von Tätigkeiten und deren Bezahlung. Die Regeln müssen für alle gelten. Alle müssen sie kennen und verstehen, und über ihre Einhaltung muss gewacht werden – ob im international agierenden Konzern, im mittelständischen Familienbetrieb in vierter Generation oder im eben erst gegründeten Start-up.

Die Regelwerke können sehr unterschiedlich ausfallen, aber eines ist bei allen gleich: Über Geld zu sprechen, ist ein Kulturwandel. Transparenz muss nicht heißen, alle Gehälter in der Kantine auszuhängen. Aber es bedeutet, dass es keine Gehaltsunterschiede gibt, die nicht erklärt werden können. Um das zu gewährleisten, braucht es klare Tätigkeitsbeschreibungen und Stellenbewertungen. Welche Leistung ist wie viel wert? Welche Qualifikationen werden wie entlohnt? Welche Rolle sollen Erfahrung oder Betriebszugehörigkeit bei der Bewertung spielen? Handelt es sich nicht um eine Unternehmensneugründung, ist das oft ein Prozess, der zunächst Aufwand bedeutet. Das gilt insbesondere dann, wenn die Gehaltsstrukturen über viele Jahre historisch gewachsen sind. Gehälter intern zu benennen, Gehaltstabellen extern zu veröffentlichen oder Gehaltsbänder bereits in Stellenausschreibungen zu kommunizieren – all das sind Möglichkeiten, die am Ende der Entgeltüberprüfung stehen können und in der Folge vieles erleichtern. Solange die Voraussetzung erfüllt ist, dass sämtliche Gehaltsbestandteile klar definiert sind, ist Transparenz in jeder Form möglich. Transparenz ist eine der wichtigsten Voraussetzungen, um zu gewährleisten, dass die klischeefreien, neutralen und objektiven Strukturen auch tatsächlich zu fairer Bezahlung aller Beschäftigten im Unternehmen führen. Doch auch wenn das System steht, bleibt faire Bezahlung ein Prozess: Der Gender Pay Gap und andere Einkommensunterschiede müssen vom Berufseinstieg bis in die obersten Hierarchieebenen immer wieder neu überprüft werden.

Positive Nebenwirkungen fairer ­Bezahlung

Die Befürchtung vieler Unternehmen, dass Gehaltsanpassungen hohe Kosten verursachen, ist unbegründet. Im Schnitt fallen hierfür etwa ein bis drei Prozent der gesamten Lohnkosten an – eine Summe, die den großen Vorteilen gegenübersteht, die aus fairer Bezahlung resultieren. Nichts­tun käme die Unternehmen sehr viel teurer zu stehen.

Inzwischen wissen wir aus zahlreichen Studien: Divers besetzte Teams erzielen bessere Ergebnisse. Unternehmen mit mehr Frauen in der Führung sind wirtschaftlich erfolgreicher. Die Beschäftigten sind motivierter und zufriedener, die Fluktuation sinkt, das Unternehmen wird attraktiver für Fach- und Nachwuchskräfte und gewinnt eine bessere Reputation, auch bei Investorinnen, wie etwa die Harvard Business Review berichtet. Fair Pay erfüllt drei von 17 der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen: Gleichstellung der Geschlechter, gleiches Entgelt für gleiche und gleichwertige Arbeit und die Verringerung von Ungleichheit in und zwischen Ländern.

Ob Stakeholderinnen, Investoren, Beschäftigte – letztlich profitieren alle Beteiligten von einer fairen Entgeltstrategie. Und die beginnt immer mit einer Anpassung der Gehälter von Männern und Frauen. Mit der richtigen Software ist dies in jedem Unternehmen über Nacht möglich. Das Beste: Wer darüber hinaus auch langfristig für gleiche Bezahlung von Männern und Frauen sorgt, schließt alle anderen Pay Gaps gleich mit. Denn klischeefreie, neutrale und objektive Entgeltstrukturen lassen auch sonst keinen Raum für Diskriminierung. Auch nicht für Einkommensunterschiede aufgrund anderer Merkmale, wie etwa Herkunft, sexuelle Orientierung oder Religion. Entgeltgleichheit ist nicht nur die messbare Spitze des Gleichstellungseisbergs. Faire Bezahlung schafft auch echte Chancengleichheit, die am Bruttostundenlohn abgelesen werden kann.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Gender. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Henrike von Platen, Gründerin des FPI Fair Pay Innovation Labs

Henrike von Platen

Henrike von Platen ist Gründerin des FPI Fair Pay Innovation Labs, das Unternehmen bei der Umsetzung nachhaltiger Entgeltstrategien unterstützt und sie für faire Bezahlung zertifiziert. Die Wirtschaftsinformatikerin und Betriebswirtschaftlerin ist zudem Hochschulrätin, Dozentin und Autorin des Buchs Über Geld spricht man. Der schnelle Weg zur Gleichstellung.

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