Es wird Zeit für Management 4.0

Leadership

Unzufriedenheit und schlechte Ergebnisse durch ungenügendes Führungsverhalten sind Alltag in Deutschlands Konzernen. Das Management in seiner tayloristischen Ausprägung hat ausgedient. Agile Führungsmodelle fußen auf Freiwilligkeit und Selbstorganisation und schaffen Räume, in denen Kollegen autonom und mit Leidenschaft arbeiten können.

Frust in Deutschlands Chefetagen: Die Top-Manager der Großunternehmen erkennen, dass sie unter den bestehenden Strukturen allmählich einknicken und ihre Managementattitüden den Unternehmen mehr schaden denn helfen. Hilflos kaufen sie lediglich Firmen zu, statt sich an substanzielle Veränderungen zu wagen. Die Chefs kontrollieren, sanktionieren und maßregeln. Das Beispiel VW zeigt exemplarisch, wohin es führen kann, wenn die Unternehmensführung nur aus Kontrolle und Angstmache besteht. Eine zunehmende Individualisierung, steigende Flexibilisierung innerhalb und außerhalb der Unternehmensstrukturen und der demografische Wandel zwingen die Unternehmen zum Umdenken. Führung muss also grundsätzlich neu verstanden werden: Nicht das Unternehmen selbst, sondern die Branche und die Kraft des Marktes führen das Unternehmen. Der Manager leitet lediglich an.

In Konzernen nehmen taktische Spielchen und Meeting-Wahn überhand. Laut unserer aktuellen Studie „Best Agers und ihr berufliches Umfeld“, die wir in Kooperation mit der Hochschule Augsburg durchgeführt haben, verbringen 44,2 Prozent der Führungskräfte in oberer Leitungsebene 26 bis 50 Prozent ihrer wöchentlichen Arbeitszeit in Meetings. Die Folge für die Unternehmen: Führungskräfte widmen sich nicht mehr ihren eigentlichen Aufgaben und entfremden sich immer weiter von ihren Teams. Doch wie managen, wenn das klassische Führen versagt – und dennoch mehr als jemals zuvor von ihnen erwartet wird?

Eine weitere Herausforderung: Wie führt man die Generation Y? Diese will flexible Arbeitszeiten, flache Hierarchien, Home Office und Manager, die ihnen dabei helfen, ihren Job zu machen anstatt in Statusmeetings Performance abzufragen. Mehr noch: Obwohl die jungen Talente darauf brennen, ihre Ideen einzubringen, holt das Management dafür lieber Berater ins Boot und lässt die Konzepte ihrer Mitarbeiter postwendend in der Schublade verschwinden. Hochschulabsolventen mit Doktortiteln beugen sich der Bürokratie und stempeln brav ihre digitalen Stechkarten – der Gesetzgeber fordert es. In diesen mitarbeiterfeindlichen Systemen macht sich eine große Leere breit: Es fehlt an Führung.

Die Führungskraft als Gastgeber

Stellen Sie sich vor, Sie sind Gastgeber einer Party. Es gilt Ihre Hausordnung mit Ihren Regeln. Sie hoffen und verlassen sich darauf, dass die Menschen in Ihrem Raum sich an Ihre Vorgaben halten. Bei Ihrer Party ist Ihren Gästen intuitiv klar, welche Regeln gelten. Wir alle halten uns an den gesellschaftlichen Rahmen. Im Business-Kontext ist oft nicht transparent, welche Regeln die Führungskraft aufgestellt hat. Doch wer sie nicht kennt, kann sie auch nicht verinnerlichen. Geschickt wäre es, wenn die (Spiel-)Regeln gemeinsam mit den Mitarbeitern aufgestellt werden. Das gilt insbesondere für Management-Methoden wie Scrum, bei denen Teams pro Projekt neu zusammengesetzt werden. Führungskräfte, die Menschen zum Mitmachen einladen – zum Mitgestalten sowohl der Form als auch des Inhalts – werden mit Kollegen zusammenarbeiten, die mit Herz und Seele bei der Sache sind. Aber wie fängt man an? Beginnen Sie mit einer Einladung an Ihre Kollegen: Sagen Sie darin:

1. ganz klar, worum es geht;
2. deutlich, was erwartet wird;
3. was mit dem Erarbeiteten geschieht und
4. machen Sie es den Eingeladenen einfach, bei der Sache mitzumachen;
5. stellen Sie das Mitmachen, also das Kommen zu Ihrem Meeting, Projekt, etc. frei.

Den Fokus auf die Zusammenarbeit

Diese Einladung ist der Grundstein einer agilen Führung. Der zweite wesentliche Punkt: Legen Sie den Zweck des gemeinsamen Tuns immer offen, sprich: Bleiben Sie nah am Kunden. Agilität bedeutet, dass in regelmäßigen Zyklen (Iterationen) kontinuierlich Teile des Produkts (Inkremente) geliefert werden. Das Gelieferte muss für den Kunden beziehungsweise User wertvoll sein. In manchen Unternehmen erhebt eine Abteilung die Anforderungen für das Produkt und eine andere darf nur liefern, was von der Anforderungsabteilung vorgeschrieben wird. So entsteht eine Entfremdung vom eigentlichen Zweck des Arbeitens – für Wissensarbeit tödlich. Wenn Sie also als Führungskraft Ihren Fokus aktiv darauf richten, dass Ihre Kollegen zusammenarbeiten und immer die Herausforderung des Kunden vor Augen haben, ist viel gewonnen.

Regelmäßige Feedback-Gespräche – sowohl von Führungskraft zu Mitarbeiter als auch von Mitarbeiter zu Mitarbeiter – sind beim agilen Führungsmodell unabdingbar und einer der Grundpfeiler für eine vertrauensvolle und produktive Zusammenarbeit. Klar ist: Mitarbeiter entscheiden selbst, welche Aufgaben sie übernehmen. Im Gegenzug geben die Mitarbeiter mit ihrem Feedback an den Manager ein Stück Transparenz wieder zurück. Dabei soll es nicht darum gehen, jeden einzelnen Schritt genauestens zu protokollieren. Am Ende des Monats zählen nur die Zahlen. In unserem Unternehmen darf beispielsweise jeder selbst bestimmen, auf welchem Kunden er arbeiten möchte oder wie er sich seine Zeit einteilt. Ob er eine Stunde oder zehn Stunden täglich für die Arbeit an seinem Projekt benötigt, ist dabei völlig unerheblich – das Einzige, was zählt, ist das Ergebnis. Diese Arbeitsweise hat unserem Unternehmen völlig neue Wege ermöglicht: Die Kollegen sind mit Freude und Verstand bei der Sache, organisieren sich weitestgehend selbst und stellen sogar selbstständig Mitarbeiter ein. Zudem wissen meine Mitarbeiter: Eine gesunde Fehlerkultur ist kein Makel, sondern ausdrücklich erwünscht.

Das Management ist nicht perfekt

Der agile Manager ist sich seiner eigenen Unsicherheit hinsichtlich der weiteren Ausrichtung der eigenen Produkte bewusst. Aber er versteckt sie nicht mehr hinter einer vorgeschobenen Sicherheit, sondern findet Wege, damit zu arbeiten. Marco Ley, Leiter der Software-Entwicklung bei CosmosDirekt, hat mit dem „Poke-Prinzip“ ein Verfahren gefunden, direkt in einer Produktivumgebung zu testen, welche Funktionalitäten des CosmosDirekt-Portals bei den Kunden ankommen werden und welche nicht. Die vielen Ideen, die er und sein Team haben, werden also durch die Prüfung von außen und nicht durch Annahmen im Inneren evaluiert. Das erzeugt ein wenig Unsicherheit bei der Planung, denn es ist beim Entwickeln einer neuen Funktion nicht klar, ob diese vom Anwender angenommen wird. Diese Unsicherheit wird in Kauf genommen und nicht negiert, sondern zum Entwicklungsparadigma umgemünzt. Am Ende erzielt Marco Ley mit seinen Teams ein besseres Produkt, weil er sich der Unsicherheit bei Entscheidungen bewusst ist und sich und sein Team dem Feedback des Nutzers aussetzt. Nur so gewinnt das Team reale Daten. Indem Ley diesen Prozess zulässt und so arbeiten will, weiß sein Team, dass es etwas Sinnvolles tut.

Aufgabe des Managers ist es, bei etwaiger Kritik innerhalb dieses Prozesses hinter seinem Team zu stehen und es zu verteidigen. Diese Schutzfunktion wird dringender denn je gebraucht. Die Marktdynamik, die Anforderungen der Kunden, die Veränderungen im Außen, die internen Forderungen, immer noch besser zu werden – der Druck wird ständig höher. In diesem neuen Umfeld brauchen wir Manager, die ihren Teams die Sicherheit geben, bestehen zu können. Zwangsläufig wird es zu Missverständnissen, Fehlern, Fehleinschätzungen und immer neuen Problemen kommen. Wenn man damit rechnet und all diese Faktoren einplant, können wir sie als Indikatoren für das nutzen, was wir als Nächstes entwickeln müssen.

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Boris Gloger, Foto: Privat

Boris Gloger

Gründer & CEO
Boris Gloger Consulting
Boris Gloger ist Gründer und Geschäftsführer der borisgloger consulting GmbH mit Sitz in Baden-Baden und Wien.  Er ist Autor mehrerer Bücher, darunter “Scrum - Produkte zuverlässig und schnell entwickeln”, “Erfolgreich mit Scrum - Einflussfaktor Personalmanagement”.

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