Das Sündenbock-Dilemma: Weg von der Schuldfrage

Leadership

Chefs sollen Mitarbeiter zur Eigenverantwortung befähigen. Allerdings wird bei der Auswahl von Führungskräften kaum überprüft, ob diese überhaupt in der Lage sind, Verantwortung zu übernehmen. Geschweige denn, ob sie den bedeutsamen Unterschied zwischen Schuld und Verantwortung kennen.

In jedem Unternehmen ist es das gleiche Spiel: Ist etwas schiefgegangen, wird erst einmal nach einem Sündenbock gesucht. Die Schuldfrage steht im Vordergrund. Ob es um den Verlust eines Kunden geht oder um das Ausscheiden in der WM-Vorrunde: In unserem Land muss schnell ein Kopf rollen.

Schuld durch Verantwortung ersetzen

Die Begriffe „Verantwortung“ und „Schuld“ werden häufig bemüht, sei es in der Mitarbeiterentwicklung, der Kindererziehung oder der Partnerschaft. Dabei löst Schuld beim Betroffenen immer ein starkes Rechtfertigungsgefühl aus. Das Wort belastet und unterdrückt. Schuld ist nicht tilgbar, sie lähmt Mitarbeiter.

Bei welcher Frage würden Sie eher den Arm heben? „Wer trägt hierfür die Schuld?“ oder „Wer trägt hierfür die Verantwortung?“ Eben. Ersetzen Sie also am besten das Wort „Schuld“ durch „Verantwortung“. Denn dort, wo das Wort „Schuld“ benutzt wird, geht es mehr um Unterdrückung als um Entwicklung.

Was hingegen empfinden Sie, wenn Sie das Wort „Verantwortung“ hören? Es fühlt sich zwar besser an als „Schuld“, dennoch bleibt ein Gefühl der Schwere, unser Pflichtgefühl. Doch wird dabei dem Begriff „Verantwortung“ unrecht getan. Woher kommt diese negative Konnotation?

Verantwortung positiv besetzen

Verantwortung ist der Kern menschlicher Entwicklung – und damit auch zentral für Organisationen und Kulturen. Ein Unternehmen trägt Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Eine Führungskraft trägt Verantwortung für die Ergebnisse der Mitarbeiter. Und ein Mitarbeiter für seine Aufgabe gegenüber der Führungskraft. Dabei warten die einen passiv ab, bis sie zur Verantwortung aufgefordert werden, und sagen dann: „Ich muss für Datensicherheit und saubere Motoren sorgen.“ Oder aber jemand sucht aktiv nach Verantwortung, ergreift sie und liefert ab. So jemand sagt eher: „Ich will für Datensicherheit sorgen.“

Doch Usus ist eher, dass bei einer Herausforderung viele den Kopf einziehen. Selten ist fehlende Kompetenz der Grund für das Abtauchen. Vielmehr bremst uns ein Nichtwollen, so lautet das Ergebnis der Studie „Verantwortungsindex“ unseres Leadership-Instituts. Für den ersten Moment mag die Verweigerung der leichtere Weg sein, bedeutet weniger Arbeit, weniger Druck, also ein Leben in gewohnten Bahnen ohne allzu große Verpflichtungen. Wer sich nicht meldet, muss sich später auch nicht rechtfertigen. Es besteht kein Risiko zu versagen. Dieser Weg führt jedoch in die Mittelmäßigkeit.

Weniger Kritiker – mehr Macher

Hinter dieser Vogel-Strauß-Taktik stecken zwei Motive. Das eine finden wir im Menschen selbst: mangelndes Selbstvertrauen. Wir glauben nicht, dass wir es schaffen könnten. Aus Angst zu scheitern, versuchen wir es gar nicht erst. Oder wir laufen erst los, wenn der Druck zu groß geworden ist, und suchen auf dem Weg ständig Gründe, warum das Vorhaben scheitern wird.

Der zweite Grund fürs Wegducken liegt am Umfeld. Wir leben in einer überzogenen Welt voller Kritiker. Funktioniert etwas nicht, wird sofort mit dem Finger darauf gezeigt: „So konnte das ja nicht klappen!“ Hinterher auf Fehler aufmerksam zu machen, ist leicht. Und dennoch wird dem Schuldzuweisenden mehr Anerkennung zuteil als demjenigen, dem der Fehler passiert ist. Das lähmt jeden voranstrebenden Geist. Ein Grund, warum 2017 nur etwa ein Prozent der Bevölkerung hierzulande ein Unternehmen gründeten. 2001 lag die Quote laut dem KfW-Gründungsmonitor noch bei knapp drei Prozent. Mangelnde Verantwortungsqualität und eine schiefe Fehlerkultur führen Unternehmen langfristig in eine Sackgasse.
„Wer sich zu oft versteckt, dem traut man immer weniger zu. Irgendwann wird er für andere unsichtbar.”
Für Führungskräfte heißt das: Sie müssen ihre Anerkennung nicht dem Nörgler schenken, sondern dem Erschaffer, jenen, die etwas wagen. Unternehmen müssen weg von einer Fehlervermeidungskultur hin zu einer Fehler-Lern-Kultur. Durch individuell zugeschnittene Förderung werden Mitarbeiter angeregt, ihre Talente zu entfalten. So werden aus Talenten Stärken, die sich in Ergebnissen widerspiegeln, die wiederum das Unternehmen stärken.

Angemessene Verantwortung verhilft Menschen zu Wachstum und Größe. Wer Verantwortung sucht und klug übernimmt, erhält positives Feedback von außen. Jede Anstrengung zahlt sich dabei aus: Wer aus Fehlern und Erfolgen lernt, stärkt den inneren Kompass. Wir sollten uns die Fragen stellen: Wo gehöre ich wirklich hin? Was ist meine Berufung? Im ständigen Wechsel zwischen Handlung und Reflektion nähert sich so jeder seinem wahren Kern. Und wird so der Beste, der er sein kann.

Lust auf Verantwortung wecken

Wer sich zu oft versteckt, dem traut man immer weniger zu. Irgendwann wird er für andere unsichtbar, bis das Selbstwertgefühl im Keller ist. Laden sich Menschen hingegen zu viel Verantwortung auf, landen sie in der Überforderung. Zwischen den beiden Polen gibt es aber einen klugen Mittelweg. Mitarbeiter müssen also nicht mehr, sondern klüger Verantwortung übernehmen. Denn 50 Prozent der Verantwortung liegen außerhalb von uns: Hakt es im System des Unternehmens, kann ein Mitarbeiter mit Selbstverantwortung nicht viel ausrichten. Sind die Systeme passend, doch ziehen Mitarbeiter die Köpfe ein, ist ebenfalls Sand im Getriebe. Das beweist: Mensch und System stehen nicht in Konkurrenz, sie bedingen einander.

Führungskräfte können mit Verantwortung nicht besser umgehen als Nichtführungskräfte. Gleichzeitig wird ihnen aber eine höhere Verantwortungsqualität unterstellt. Diese Schieflage macht ein Problem deutlich: Einerseits bedarf eine Führungsposition hoher Verantwortungsqualität. Gleichzeitig ist das Thema offenbar kein Kriterium bei der Personalbesetzung. Das liegt daran, dass Verantwortung selten klar definiert ist, weder innerhalb eines Unternehmens noch zwischen Team und Führungskraft.

Unternehmen müssen sich also mit dem Thema Verantwortung in der Tiefe auseinandersetzen. Und damit sind keine kurzfristigen Wertediskussionen gemeint, nach denen die Ergebnisse in der Kaffeeküche ausgehängt werden. Eine kluge Verantwortungskultur kann nur durch eine Abgrenzung und die bewusste Förderung auf allen Ebenen entstehen. Nicht höher, schneller, weiter muss es lauten, sondern flexibler, klarer, tiefer.

Das Grundl Leadership Institut untersucht mit dem Verantwortungsindex, wie gesellschaftliche Verantwortung gesehen wird und wie Menschen ihre Selbstverantwortung bewerten. Ein Selbsttest zur eigenen Verantwortungsqualität kann unter www.verantwortungsindex.de gemacht werden.

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Boris Grundl, Managementtrainer

Boris Grundl

Management-Trainer, Referent, Unternehmer, Autor
Boris Grundl forscht und lehrt seit 20 Jahren als Managementtrainer, Redner, Unternehmer und Autor zur menschlichen Entwicklung. Inzwischen hat sich sein ganzes Denken und Handeln in einem Wort verdichtet: Verantwortung – sein Lebensthema, die zwingende und logische Konsequenz seines Seins: www.verantwortungsindex.de. Seit 30 Jahren ist er vom Hals abwärts gelähmt und startete als Sozialhilfeempfänger. Heute lebt der zweifache Familienvater ein erfülltes, selbstbestimmtes und finanziell freies Leben in Spanien und Deutschland. Sein Antrieb: Möglichst vielen dabei helfen, dass sie die besten Menschen werden, die sie sein können. Boris Grundl hat die Themen Verantwortungsbewusstsein, mentale Haltung und Leadership in der Tiefe erforscht und systematisch erlernbar gemacht. Das Grundl Leadership Institut sorgt dafür, dass Menschen und Organisationen sie umsetzen können. Alle Inhalte sind Online, Inhouse und in offenen Seminaren verfügbar. www.grundl-institut.de

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