Diversity Management ist ein Luxusproblem*

Recruiting

Eigentlich müssten Unternehmen den Business Case für Vielfalt doch mittlerweile tanzen können, so viele Studien gibt es seit Jahren dazu (zum Beispiel Center for Talent Innvovation, Catalyst, Deloitte). Umso erstaunlicher, dass es noch immer grundlegende Überzeugungsarbeit dafür braucht, warum mehr Vielfalt in den eigenen Reihen erstrebenswert ist und was das alles eigentlich für die einzelne Person sowie das Unternehmen bringt. Aber genau diese Notwendigkeit drängt sich beim Lesen der neuen Charta-Studie „Diversity-Trends 2020“ leider an zahlreichen Stellen immer noch auf.

Zum zweiten Mal nach 2016 hat die „Charta der Vielfalt“ – der deutschlandweit größte Zusammenschluss von Unternehmen zur Diversity – eine Studie herausgegeben, um den Vielfalts-Status-Quo in deutschen Unternehmen zu messen. Befragt wurden Personalentscheider:innen aus einem Querschnitt deutscher Unternehmen. Als Vergleichsgruppe kamen die Unternehmen und Organisationen zu Wort, welche die Charta der Vielfalt unterzeichnet haben. Dies sind mittlerweile 3.700 Unternehmen, die ein Drittel der arbeitenden Bevölkerung, nämlich 13,9 Millionen Menschen repräsentieren 70 Prozent mehr als noch 2016. Die Erkenntnisse aus der neuen Charta-Studie sind daher insbesondere für diejenigen interessant, die gerade daran arbeiten, die Vielfalt zu erhöhen. Sie sind aber ebenso ein Blick hinter die Kulissen für diejenigen, die wissen möchten, was sich verändern kann, wenn man denn will.

Highlights der Studie

  • Der Business Case hat sich bestätigt:
    • 97 Prozent der Unterzeichner-Unternehmen sehen mit Vielfalt konkrete Vorteile für das Unternehmen verbunden (zu 77 Prozent in 2016)
    • 80 Prozent sehen damit eine Erhöhung der Arbeitgeberattraktivität verbunden,
    • Innovation und Kreativität sowie die Reaktion auf den gesellschaftlichen Wandel erfahren bei 83 Prozent der Unterzeichner:innen eine Zustimmung
  • Vielfalt ist bei 50 Prozent der Unterzeichner:innen in der Unternehmensstrategie verankert
  • Die Top 3 der umgesetzten Maßnahmen reflektieren geänderte Anforderungen an die Arbeitswelt:
    • flexible Gestaltung von Arbeitszeiten in persönlichen Ausnahmesituationen wie beispielsweise Erkrankungen in der Familie,
    • die generelle Flexibilisierung von Arbeitszeiten für Beschäftigte sowie
    • die Berücksichtigung von Vielfalts-Kriterien bei der Personalauswahl
  • Deutlich fällt die Erwartungshaltung an Top-Führungskräfte aus, sich gesellschaftspolitisch zu positionieren: so sehen dies 90 Prozent der Unterzeichner:innen und 79 Prozent der Nicht-Unterzeichner:innen als wichtig an
  • 81 Prozent der Unterzeichner:innen sehen ein Bekenntnis zu Diversity angesichts populistischer Tendenzen als notwendig an, immerhin können sich dem auch 55 Prozent der Nicht-Unterzeichner:innen anschließen
  • Soziale Herkunft wird in den Kanon der Diversity-Dimensionen aufgenommen, spiegelt sich doch seit Jahren hier ein besonderer Bedarf beim Einstieg in den Beruf sowie den realen Aufstiegschancen in Unternehmen wider
  • Die Relevanz von Diversity wächst auch noch in der Zukunft, sagen 82 Prozent der Unterzeichner:innen
  • Best Practices: sechzehn Unternehmen demonstrieren mit konkreten Beispielen aus ihrer Unternehmenspraxis wie sie Flagge für Vielfalt zeigen – von wertschätzender Kommunikation über Umgang mit unbewussten Vorurteilen bis zur monatlichen Messung von Diversity-Fortschritten über KPI-Analysen

Es ist zwar kein kausaler Befund, aber doch eine spannende Erkenntnis: Wer die Charta unterzeichnet hat und sich damit in den Prozess der Umsetzung begibt, wird besser. So sind 82 Prozent der Unterzeichner-Unternehmen aktiv mit Maßnahmen unterwegs und ambitioniert, in den Bemühungen nicht locker zu lassen (76 Prozent versus 12 Prozent Nicht-Unterzeichner:innen).

Da geht noch was – offene Handlungsfelder

Neben den positiven Entwicklungen im Vergleich zur Diversity-Studie der Charta von 2016, gibt es aber weiterhin einiges zu tun:

  • Noch zu oft fehlt der Blick auf den gesamten Employee Lifecycle, auch wenn bereits Fortschritte in der Personalauswahl angegeben werden
  • Flexibilitätsangebote sind bei Nicht-Unterzeichnern schwach ausgeprägt, so bieten lediglich 18 Prozent mobiles Arbeiten an (verglichen mit 57 Prozent bei den Unterzeichner:innen),
  • Tabu LGBT*-Themen: 60 Prozent der Nichtunterzeichner: innen sind der Ansicht, dass sexuelle Orientierung und Identität Privatsache seien und nichts am Arbeitsplatz verloren hätten
  • Der Mythos Meritokratie lebt: 37 Prozent der Nicht-Unterzeichner:innen glauben, dass es in der eigenen Hand liegt, beruflich erfolgreich zu sein. Eigene Privilegien werden dabei nicht thematisiert.
  • Zugleich wird Benachteiligung als real bewertet: 47 Prozent Nicht-Unterzeichner:innen und 63 Prozent der Unterzeichner:innen geben an, Benachteiligung aufgrund der sozialen Herkunft bereits beobachtet zu haben, etwa bei der Auswahl, Beförderung oder allgemein im Büroalltag
  • Bedenkenträger: 33 Prozent der Nicht-Unterzeichner:innen sehen Vielfalts-Management nach wie vor eher skeptisch (34 Prozent in 2016)
  • Die Zukunft ist nur zu einem Drittel bunt: Für nur 31 Prozent der Nicht-Unterzeichner:innen ist Vielfalt die Grundlage für ihr Unternehmen, auch weiter erfolgreich wirtschaften zu können.

Gerade der letzte Punkt ist vor dem Hintergrund all der Vorteile und Wertschöpfungsbeiträge von Vielfalt gleichermaßen ernüchternd wie erstaunlich. Diversity ist weder Luxusproblem, Modeerscheinung noch Trend. Vielfalt ist längst ein Fakt. Es geht längst nicht mehr darum ob, sondern nur noch wie man sie steuert.

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Eva Voss, Head of Diversity bei der Großbank BNP Paribas

Eva Voß

Dr. Eva Voß ist Head of Diversity, Inclusion and People Care Germany & Austria bei BNP Paribas. Als Keynote-Speakerin und Panelistin sowie Autorin verschiedener Fachpublikationen liegt ihr Schwerpunkt auf Unconscious Bias, Inclusive Leadership, Culture of Belonging, Employee Activation und Governance-Strukturen der Gleichstellung.

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