Der richtige Umgang mit narzisstischen Führungspersönlichkeiten

Leadership

Narzisstische Führer wollen Untergebene, die der vermeintlichen Größe und Allmacht bedingungslos folgen. Narzissmus ist eine Gefahr für Gesellschafts- und Wirtschaftsorganisationen. Doch: wie umgehen mit der Ich-Bezogenheit von Omnipotenzprotzen und Egozentrikern?

In der abendländischen Kulturgeschichte gilt der Narziss-Mythos als der erste Fall eines Verzichts auf Wissen infolge einer radikalen Selbstüberschätzung. Sein Spiegelbild ersetzt Narziss den Austausch mit anderen Menschen, deren Feedback keinen Einfluss auf seine Persönlichkeitsbildung haben soll. Bis heute gilt der Mythos vom selbstverliebten Narziss als Sinnbild für die Gefahren von Realitätsflucht und Egozentrismus. Dessen ungeachtet nehmen immer mehr narzisstisch geprägte Persönlichkeiten einflussreiche Positionen ein.

Narzissten ist die offene Gesellschaft ein Dorn im Auge. Die unverblümte Egomanie eines Erdogan oder Trump legitimiert derzeit öffentlich eine narzisstische Führungskultur, die längst überwunden geglaubt war. Trumps Erfolg rührt maßgeblich daher, dass er in vermeintlich volksnaher Art und Weise ein Ideal von Stärke und Aggressivität zelebriert, das die tiefe Verunsicherung der weißen Mittelschicht kompensiert.

Der Narzisst als Container

Auf diese Weise übernimmt er die Funktion eines psychologischen Containers, mit dessen Hilfe der Druck aufgestauter Gefühle als Folge unerfüllter Überlegenheitswünsche kanalisiert wird. Das psychoanalytische Container-Contained-Modell stellt eine Kommunikationsform dar, die dabei hilft, mit Ungewissheit und Affektspannungen umzugehen.

Idealerweise vermittelt das Konzept Rückhalt und moralische Klarheit in konfliktreichen Gruppenprozessen, um einen Prozess des gemeinsamen Lernens aus Erfahrung in Gang zu bringen. Narzissten machen sich die haltgebende Funktion des Containings jedoch für ihre eigenen Zwecke zunutze. Beim narzisstischen Containment geht es eher um „hergestellte Dummheit” – ein Ausdruck von Alexander Mitscherlich, der die gezielte Verdummung durch politische Propaganda meint – als um Räume für Entwicklung. So versprechen Populisten wie Trump, die Modernisierungsverlierer ihres Landes wieder zum Teil eines Traums von Einheit und Größe zu machen. Sie tragen dadurch zur Abfuhr von kollektiven Unruhezuständen bei, was von der herrschenden Elite tatsächlich lange Zeit vernachlässigt wurde. Befremdlich ist dabei, wie die narzisstische Führungskultur für viele Menschen eine Denk- und Kommunikationsform eröffnet, aus der heraus sich starke Veränderungsdynamiken entfalten.

Gefühlte Wahrheiten

Man sollte allerdings nicht übersehen, dass narzisstische Führer ihre Gefolgschaft vor allem in ihrem eigenen Interesse beeinflussen und dafür die Spaltung von Gesellschaften in Kauf nehmen. Das narzisstische Ich kann sehr gut auf das Du seines Gegenübers verzichten.

Doch das eigentliche Problem narzisstischer Führungspersönlichkeiten liegt in der Abgeschlossenheit des Denkens, zu der sie verleiten: Es folgt einer vorgegebenen Logik, wonach nur das von Relevanz ist, was dem narzisstischen Blick gefällt. Alles andere wird aus der Wahrnehmung ausgeblendet oder als Fake, als Unwahrheit, abgestempelt.

Hat sich diese dogmatische Einstellung zur Wahrheit erst einmal verfestigt, wird nur noch das geglaubt, was in das narzisstisch aufgespannte Weltbild passt. Die Wirklichkeitswahrnehmung verkommt zu einer Unkultur der gefühlten Wahrheit, die sich in einer Blase alternativer Fakten einrichtet.

Das narzisstische Weltbild scheint manchen Führungspersönlichkeiten wohl auch deshalb so verlockend, weil es von ihnen nicht mehr verlangt, sich an Objekte mit ungewissen Befriedigungsmöglichkeiten zu binden. Diese Haltung überträgt sich auch auf Gefolgschaft und Mitarbeiter: Sie lehnen es ab, mit unbequemen Vernunft- oder Sachwahrheiten umzugehen oder diese über mühevolle Lernprozesse in den Alltag zu integrieren. Stattdessen orientieren sich narzisstische Kulturen an Vorurteilen und unbewussten Annahmen, den Unconscious Bias.

Last Exit: Ödipus’ Schicksal

Narzisstische Führungskulturen weisen die Tendenz auf, ihr Umfeld entsprechend dem eigenen Wunschdenken imaginierter Größe zu vereinheitlichen. Damit wird aber die Chance vertan, Gesellschaften und Organisationen auch ohne Vereinheitlichung der Führungs- und Funktionsstrukturen zusammenzuhalten. Narzisstische Führungskulturen behindern die Entwicklung von Organisationen, Gesellschaften und Unternehmen. Gelingt es, narzisstische Engführungen des Denkens für einen gemeinschaftlichen Entwicklungsprozess nutzbar zu machen, können sich das kreative Potenzial und die Bereitschaft zur Kooperation in Teams und Organisationen erhöhen. Über ein strukturgebendes Containment kann das Wunschdenken imaginierter Größe bewusst gemacht und für aktive, lebendige Verbindungen des Denkens geöffnet werden. Bestimmte Begabungen wie Humor erfüllen diese strukturgebende Containment-Funktion, indem Aggressionen und Affekte aufgenommen und in etwas Neues umgewandelt werden.

Führungspersönlichkeiten, denen nicht nur an der eigenen Zukunft gelegen ist, unterstützen daher durch ihre innere Einstellung Containing-Prozesse, die zu mehr Toleranz und Lernbereitschaft führen. Sie fördern die Bereitschaft, Unterschiede wahrzunehmen und ihren Nutzen für die gemeinsame Sache anzuerkennen. Natürlich brauchen moderne Wissensgesellschaften auch Visionäre, die mit Selbstbewusstsein vorangehen und Innovationsanstrengungen einfordern. Aber ebenso wichtig sind diskursive Räume für ein strukturgebendes Containment, in denen narzisstische Allmachtsphantasien und egozentrisches Handeln für alle Beteiligten erkennbar sind und korrigierbar werden. Andernfalls droht das Schicksal des Ödipus, der in seiner Selbstbezüglichkeit gefangen blieb.

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Thomas Kretschmar, Foto: Melanie Meissner

Thomas Kretschmar

Mind Institute SE
Thomas Kretschmar ist Diplom-Kaufmann, klinischer Psychologie und Senior-Coach. Er leitet das Mind Institute SE in Berlin. Zuvor war er in einer Unternehmensberatung, als Hochschullehrer und Start Up-Unternehmer tätig.
Moritz Senarclens de Grancy Foto: James Rea

Moritz Senarclens de Grancy

Mind Institute SE
Moritz Senarclens de Grancy ist Kulturwissenschaftler, Psychoanalytiker und Experte für analytische Führungskräfteentwicklung. Er leitet den Forschungsbereich Kulturelle Innovation und Diversity beim Mind Institut SE in Berlin.

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