Was Führung in einer komplexen Welt können muss

Leadership

Unternehmen müssen flexibler werden, um schnell auf steigende Kundenanforderungen zu reagieren. Das Organisationsumfeld wird immer vernetzter und digitaler. Dadurch kommen auch vielfältige Anforderungen auf die Führungskräfte zu.

1. Virtuelle Strukturen beherrschen

Schon heute können Führungslinien in Matrixorganisationen sehr komplex sein, dies wird künftig in vielen Unternehmen noch zunehmen. Eine Führungskraft wird immer häufiger Mitarbeiter führen, die irgendwo auf der Welt verteilt sitzen und für die sie keine eindeutige (disziplinarische) Weisungsbefugnis hat. Sie ist aber für deren Leistungen verantwortlich. Zudem werden Mitarbeiter immer eigenständiger arbeiten, Wissensarbeiter sind oft selbstorganisiert und koordinieren sich selbstständig mit ihren Kollegen weltweit mittels leistungsfähiger Abstimmungs- und Kommunikationstechnologien.

Die Führungskraft muss deshalb künftig ihre Rolle genau definieren: Wo ist noch disziplinarische Führung vorgegeben, wo ist fachliche Steuerung nötig und wann ist es vor allem ihre Aufgabe, die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Mitarbeiter erfolgreich tätig sein können? Zu den Rahmenbedingungen gehören die Aufgaben zu planen, zu definieren und zu übertragen, Budgets und Ressourcen bereitzustellen sowie die passenden Spezialisten einzusetzen. Die Führungskraft muss oft auch Orientierung geben, das heißt Mitarbeiter unterstützen und vernetzen und bei Bedarf entlasten. Die Rollenerwartungen an sie können sehr unterschiedlich und widersprüchlich sein, die Führungskraft muss selber entscheiden, welche Aufgaben sie übernehmen muss, um die Ziele zu erreichen – und welche nicht. Und sie muss immer wieder ihr Führungsverhalten reflektieren sowie variabel an die Situation anpassen.

2. Mitarbeiter mitreden lassen

Wenn Mitarbeiter immer eigenständiger werden, möchten sie auch in vielen Führungsfragen mitreden und mitbestimmen. Bei vielen Mitarbeiterbefragungen in Unternehmen belegen die Unzufriedenheit mit Führungskräften und die unzureichende Führungsqualität einen Spitzenplatz. Dies folgt aus dem Widerspruch, auf der einen Seite hochqualifizierte Mitarbeiter, die eigenverantwortlich handeln sollen, einzustellen, auf der anderen Seite ihnen aber wenig Einflussmöglichkeiten und Mitsprache zu geben.

Die heute bereits vorhandenen Personalinstrumente wie Aufwärts- und 360-Grad-Feedback, Mitarbeiterbefragung und vor allem Team-Runden werden künftig noch mehr an Bedeutung gewinnen. Führung ist nicht mehr die Aufgabe eines Einzelnen, sondern das Team wird einbezogen, es wird gemeinsam entschieden und Verantwortung übergeben.

Dabei werden Hierarchien zunehmend in Frage gestellt. Eine Führungskraft muss sich stärker als früher legitimieren. Sie bekommt Akzeptanz nicht einfach aufgrund ihrer Position und der ihr formal zugewiesenen Rolle, sondern aufgrund ihrer Kompetenz – sei es fachlich oder in der Steuerung und Koordination – sowie ihrer Fähigkeit, die Menschen über, neben und unter sich für die eigene Sache zu gewinnen.

3. Heterogene Teams führen

Auch bedingt durch die virtuellen Strukturen müssen Führungskräfte künftig sehr heterogene Teams führen: Mitarbeiter vor Ort und irgendwo auf der Welt verteilt, aber auch aus verschiedenen Kulturen und Altersgruppen sowie Mitarbeiter mit einem unterschiedlichen Status – von festangestellt bis Freelancer.

Jedem dieser Mitarbeiter muss die Führungskraft gerecht werden. Gerade wenn sie die Mitarbeiter nicht vor Ort regelmäßig sieht, ist eine intensive Kommunikation wichtig, weil eben nicht „zufällig“ das Gespräch in der Kaffeeküche entsteht oder man dem Mitarbeiter ansehen kann, dass es ihm heute nicht gut geht.

Die verschiedenen Kulturen stellen eine weitere Herausforderung dar. Neben einem größeren Potenzial für Konflikte und Missverständnisse im Team können auch die Erwartungen der einzelnen Team-Mitglieder an die Führungskraft sehr unterschiedlich sein. Das reicht von unterschiedlichen Vorstellungen, ob ein Chef immer eine Antwort parat haben muss oder ob man ihm widersprechen darf, bis zu unterschiedlichen Erwartungen, ob Anerkennung dem Team oder dem Einzelnen zukommen soll und in welcher Form sie gegeben werden kann. Die Führungskraft muss dabei nicht nur auf diese verschiedenen Vorstellungen eingehen, sondern auch die verschiedenen Mitarbeiter zusammenbringen und ein Team formen. Während verschiedene Kulturen und deren unterschiedliche Ansprüche eher wahrgenommen werden, werden selten der Führungsstil und das Führungsverhalten altersgerecht angepasst. Die Vorstellungen und Erwartungen der verschiedenen Generationen werden immer wieder diskutiert – und manchmal auch in Frage gestellt.

Jede Generation wurde von dem Umfeld, in dem sie aufgewachsen ist, stark geprägt. Die Babyboomer (heute älter als 50 Jahre) wurden oft unter starkem Wettbewerbsdruck am Arbeitsplatz sozialisiert. Ihr Lebenskonzept haben sie meistens den Arbeitsanforderungen untergeordnet. Sie schätzen in der Regel den persönlichen Kontakt zum Vorgesetzten, akzeptieren Hierarchien leichter und schätzen neben monetären Anreizen, vor allem Machtbefugnisse und Privilegien als Belohnungssystem.

Die Generation Y kennt diesen Wettbewerbsdruck weniger, vor allem wenn sie gut qualifiziert ist. Sie musste sich nicht anpassen, wurde von ihren Eltern oft unterstützt und versucht viel stärker als vorangegangene Generationen Arbeit und Freizeit auszubalancieren. Sie wünscht sich anspruchsvolle Aufgaben, an denen sie sich weiterentwickeln kann. Natürlich ist auch hier Geld ein Anreiz – mehr aber noch die Mitwirkung an einem interessanten Projekt, die Wertschätzung der Community, eigenverantwortliche Arbeit und ein konstruktives (positives) Feedback.

Auf dem Arbeitsmarkt finden sich auch die Generation X (zwischen den Babyboomern und der Generation Y) und ganz frisch die Generation Z, die gerade ins Berufsleben einsteigt. Auch sie haben oft andere Vorstellungen und Erwartungen als die übrigen Generationen.

Die Führungskraft muss diesen heterogenen Mitarbeitern und ihren unterschiedlichen Ansprüchen gerecht werden. Dies funktioniert am besten in einer offenen Feedback-Kultur, in der verschiedenen Ansichten bewusst Wertschätzung entgegengebracht wird. Es sollte einen permanenten Austausch über die wechselseitigen Erwartungen von Führung und Team geben. Dabei sollte die Führungskraft zeigen, was möglich ist und offen sein für neue Ideen. Sie muss dabei die verschiedenen Erwartungen der Mitarbeiter, die sich auch widersprechen können oder unrealistisch sind, balancieren.

4. Effektiv kommunizieren

Je mehr in virtuellen Teams gearbeitet wird, je heterogener sie sind und je mehr das Team in Entscheidungen einbezogen werden soll, desto mehr wird Kommunikation zur zentralen Führungsaufgabe.

In der virtualisierten Arbeitswelt fehlen klassische arbeitsorganisatorische Rahmenbedingungen wie gemeinsame Büros, regelmäßige persönliche Treffen – ob im Meeting oder informell. Teams sind nur teilweise vor Ort, einzelne Team-Mitglieder sind nur virtuell über technische Kommunikationsmedien verfügbar. Die Führungskraft kann die individuellen Befindlichkeiten nicht mehr beiläufig wahrnehmen, sondern muss sie direkt erfragen.

Gerade wenn Team-Mitglieder nicht regelmäßig mit anderen in Kontakt sein können, muss die Führungskraft Mitarbeitern ein Gefühl der Zugehörigkeit geben und sie vor zu großer Isolation bewahren. Gleichzeitig muss kommuniziert werden, um sich inhaltlich abzustimmen, sich zu koordinieren und auszutauschen, Arbeitsergebnisse zu übermitteln und gemeinsam neue Ideen zu entwickeln.

Kommunikation dient gerade auch in virtuellen Teams dazu, Prozesse, Daten und Fakten transparent zu machen, um zu verhindern, dass Arbeit doppelt gemacht wird, nicht vergleichbar ist oder Zusammenhänge nicht erkannt werden. Eine offene Kommunikation erfordert aber neben den technischen Möglichkeiten, die es längst gibt, vor allem eine Vertrauenskultur, die umso schwieriger zu gestalten ist, je heterogener die Teams sind.

Der Wunsch nach mehr Mitsprache beinhaltet auch, anders mit Wissen umzugehen, es zu teilen und verfügbar zu machen. Die Grundeinstellung mancher Führungskraft nach dem Motto „Wissen ist Macht“ hat mehr denn je ihre Rechtfertigung verloren.

Gerade die junge Generation hat ein ganz anderes Verständnis. Wissen wird nicht nur freiwillig geteilt, sondern auch verbessert und weiterentwickelt und dem Absender wird offene Wertschätzung entgegengebracht. Mitsprache erfordert auch, dass Mitarbeiter von ihrer Führungskraft über strategische und unternehmenspolitische Themen informiert werden, damit sie wissen, wohin das Unternehmen steuert. Nur dann können sie verstehen, in welchem Kontext ihre Arbeit steht und wie sie ihr Wissen gewinnbringend einsetzen können.

Kommunikation wird damit zum wesentlichen Arbeitsinhalt der Führungskraft und dient dazu, die (Führungs-)Beziehung auszugestalten. Kommunikationsfähigkeit ist die Schlüsselkompetenz für wirksame Führung. Die Führungskraft muss mit ihren Mitarbeitern gemeinsam Regeln für die Kommunikation aufstellen, die verbindlich eingehalten werden und bei Bedarf anzupassen sind. Je flexibler die Arbeitssituation ist, umso größer ist die geforderte Disziplin aller Beteiligten, diese Regeln einzuhalten. Für die Führungskraft kann der Aufwand für Kommunikation und Koordination je nach Situation so stark steigen, dass sie einen sehr wesentlichen Teil der täglichen Arbeit ausmachen. Dies muss bei der Führungsspanne künftig stärker berücksichtigt werden.

5. Qualifizieren, qualifizieren, qualifizieren

Mehr Qualifikation ist gleichermaßen bei Führungskräften wie bei den Mitarbeitern erforderlich. Auf die Führungskräfte kommen neue und veränderte Anforderungen zu. Dies kann gerade für diejenigen eine Herausforderung sein, deren Führungsverständnis – wie in Deutschland üblich – stark fachlich geprägt ist und die weniger den in angloamerikanischen Ländern üblichen Generalisten entsprechen.

Die Führungskraft ist nicht mehr durch die formale Rolle definiert, sondern sie muss ihre Führungsansprüche durch ihre Befähigung legitimieren. Die Anforderungen verschieben sich von der fachlichen Qualifikation zu vermeintlich „softeren“ Themen wie Kommunikation, Beziehungsmanagement, Coaching, Mitarbeiterführung, Selbstreflexion, kultureller Kompetenz – und das Ganze in einem fordernden dynamischen Umfeld. Eine gute Balance von fachlichen, organisatorischen und persönlichen Kompetenzen wird immer wichtiger für die Führungsrolle.

Aber auch Mitarbeiter, die in dem beschriebenen Umfeld erfolgreich sein wollen, brauchen eine andere Qualifikation als ihre Vorgänger. Die Anforderungen an die Mitarbeiter sind dabei durchaus widersprüchlich: Sie sollen eigenständig arbeiten und flexibel sein; es geht um ihre individuellen Fähigkeiten und deren Weiterentwicklung; gleichzeitig spielt Team-Orientierung, Informationsaustausch und Vernetzung eine große Rolle. Lösungen können oft nur im Team erarbeitet werden. Diese Anforderungen sind nicht für alle Mitarbeiter einfach zu meistern, einige müssen stärker von ihrer Führungskraft angeleitet und unterstützt werden.

Es ist Aufgabe des einzelnen Mitarbeiters, sich permanent selbstständig weiterzubilden. Die Führungskraft kann helfen, dass Weiterbildung schnell, dezentral und selbstorganisiert erfolgt oder in gemischten Kleingruppen, die bei der gemeinsamen Lösungsfindung voneinander lernen.

Viele Führungskräfte stehen vor großen Herausforderungen. Sie müssen künftig sehr unterschiedliche Rollen vereinen: Sie sind Komplexitätsmanager und müssen virtuelle Strukturen beherrschen, sie sollen Partizipationsförderer sein und die Mitarbeiter zusammenbringen, sie sind Integrator für heterogene Teams und Kommunikator. Und sie müssen als Entwicklungshelfer nicht nur sich selber immer weiterentwickeln, sondern auch ihren Mitarbeitern helfen, mit den widersprüchlichen Anforderungen und der Dynamik und Komplexität klarzukommen.

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Susanne Böhlich

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