Was dran ist an Workplace Analytics mit Sociometric Badges

Personalmanagement

Wie wäre es, wenn HR über eine funktionierende Glaskugel verfügen würde, wenn Personalentscheidungen sicher über datenbasierte Evidenz getroffen werden könnten? Workplace Analytics soll dies ermöglichen. Ob das funktionieren kann, hängt jedoch vom Einzelfall ab. Eine Einordnung.

Über People Analytics wird derzeit viel debattiert. Die damit verbundenen Hoffnungen sind groß: Wie wäre es, wenn die HR-Funktion mit objektiven Daten Aussagen darüber machen könnte, warum manche Vertriebsmitarbeiter mehr Verkäufe abschließen als andere? Wie wäre es, wenn die Personalabteilung vorhersagen könnte, wann welche Mitarbeiter kündigen – und wenn dies keinem Blick in die Glaskugel gleich käme? Was würde sich in Organisationen ändern, wenn personalrelevante Entscheidungen wie zum Beispiel über Einstellungen, Beförderungen oder Boni auf Basis von harten Zahlen und statistischen Auswertungen statt Bauchgefühl, Nasenfaktor oder anekdotischer Evidenz getroffen würden? Ginge das alles mit Hilfe von „Analytics“, würde HR nicht nur die Vormachtstellung anderer Abteilungen erschüttern, sondern sich die tagtägliche Arbeit auf allen hierarchischen Ebenen ändern. Um die Fragen seriös zu beantworten, muss man sich genauer anschauen, welche Art der Analytics gemeint sind und wie der konkrete Anwendungsfall aussieht.

People & Workplace Analytics

People Analytics (oder HR Analytics) meint datengetriebene Personalarbeit: mit Hilfe von softwarebasierter Datenanalyse werden Personalprozesse, Humankapital und individuelle beziehungsweise kollektive Leistungen zielgerichtet ausgewertet, um Entscheidungen auf Basis von Vergleichsfällen zu treffen. Diese Daten kommen aus unterschiedlichen Quellen und werden mit Hilfe von unterschiedlichen Verfahren ausgewertet (siehe Abbildung ).

Ein Spezialfall von People Analytics sind „Workplace Analytics“: hier geht es um die Auswertung von Daten, die durch die Ausübung der Arbeit an sich anfallen, etwa weil Meetings abgehalten, Emails verschickt oder Verkäufe abgeschlossen werden. Workplace Analytics bezieht sich also weniger auf Daten über das Personal beziehungsweise Humankapital (zum Beispiel Persönlichkeitseigenschaften, Kompetenzen, Alter, Verweildauer im Job), sondern auf Verhaltens- und Interaktionsdaten (zum Beispiel Email-Konversationen, Besprechungen, Beiträge im Wissensmanagement-System, Äußerungen in sozialen Medien). Auch wenn aus deutscher Sicht diese Art der umfassenden Datensammlung ebenso innovativ wie fragwürdig erscheint – mit „sociometric badges“ wird dies noch eine Stufe weiter getrieben.

Workplace Analytics mit Sociometric Badges

Sociometric badges sind kleine Geräte mit Sensoren, die Mitarbeiter beispielsweise um den Hals tragen können und die mittels GPS, Bluetooth, Infrarotschnittstelle und Sprachaufnahmefunktion aufzeichnen, wer wann wo mit wem wie lange interagiert hat. Die einbaute Technologie misst die Lageveränderung (inklusive Beschleunigung), ob sich zwei Geräte (und ihre Träger) treffen (mittels mehrerer Infrarotschnittstellen), und zeichnet Gespräche auf. All diese Daten werden im Abstand von Millisekunden gemessen, gespeichert und beim Aufladen des Geräts ausgelesen.

Bei Hitachi wurden bereits Mitte der 2000er Jahre erste Experimente mit tragbaren Sensoren durchgeführt. Am MIT wurde fast gleichzeitig damit experimentiert – und in Deutschland gibt es mittlerweile beispielsweise das TExLab an der TU Dresden, das solche Geräte für die Allgemeinheit zum Ausprobieren bereitstellt. Neuerdings versucht man die Interaktionsdaten mit psychologischen Konstrukten (beispielsweise Glück) und Leistungsdaten (zum Beispiel Verkaufsabschlüsse) in Verbindung zu bringen. Der Faktor Glück ist vor allem in wissensintensiven und kreativen Arbeitsumgebungen relevant für die Produktivität der Mitarbeiter (Yano et al. 2015).

So wurden zunächst 468 Mitarbeiter aus zehn unterschiedlichen Abteilungen mit Sensorgeräten ausgestattet, sodass Daten über circa 5.000 Personentage vorlagen, was circa fünf Millarden Datenpunkten entspricht (vgl. im Folgenden Yano et al. 2015). Parallel wurde ein Fragebogen verteilt, der mit 20 Fragen (unter anderem zu Konzentration, Freude, Appetit, Angst, Einsamkeit) bemaß, wie glücklich die Teilnehmer waren. Danach wurde der Zusammenhang zwischen diesem Glücksgrad und der physischen Aktivität (zum Beispiel Gehen, Kopfnicken, Tippen) bestimmt. Mit dem Ergebnis, dass sich die Variation der Daten über Glück auch in den Daten über die Variation des Aktivitätslevels (aktiv vs. inaktiv) wiederfinden ließ, und zwar als Wahrscheinlichkeit in Inaktivität zu verfallen, die umgekehrt proportional zur Zeitdauer der Aktivität ist. Relevant ist deshalb die Fluktuation beziehungsweise Änderung der Aktivitätslevel. Die Forscher konnten zeigen, dass diese Fluktuation stark positiv mit Glück korreliert und schlussfolgern deshalb, dass Glück sich quantitativ über Veränderungen in der physischen Aktivität messen lässt – und diese wiederum mittels der tragbaren Sensoren objektiv bestimmt werden kann. Ein Umweg über Selbsteinschätzungen oder andere, subjektiv beziehungsweise interpretativ verzerrte Daten ist dann nicht mehr nötig.

Nachdem diese Vorarbeiten gemacht waren, führten die Autoren ein Experiment in einem Call Center durch, dessen Mitarbeiter mit der Kaltakquise potenzieller Kunden und dem Telefonverkauf beauftragt waren. Insgesamt wurden 215 Personen an zwei Standorten mit Sensorgeräten ausgestattet. Diese trugen sie 29 Tage lang, was insgesamt circa sechs Milliarden Datenpunkte generierte. Nach der Datensammlung wurde der Zusammenhang zwischen der Fluktuation der physischen Aktivität und den erfolgreichen Abschlussraten analysiert. Das Ergebnis: an Tagen mit einer überdurchschnittlichen Aktivitätsfluktuation waren die Verkaufsabschlüsse um 34 Prozent höher als an Tagen mit einer unterdurchschnittlichen. Zudem ließ sich zeigen, dass das Aktivitätsniveau in den Pausenräumen entscheidend ist: In diesen Räumen bestand die physische Aktivität zum Großteil aus kleinen Bewegungen, weil oft nur gesprochen wurde. An Tagen, in denen in den Pausenräumen eine rege Kommunikation herrschte, waren sowohl das Glücksniveau als auch die Abschlussraten hoch. Für die Autoren belegen diese Analysen, was sie als Dreifaltigkeit bezeichnen: physische Aktivität = Glück = Produktivität (Yano et al. 2015: 517).

Zwei praktische Implikationen ergeben sich aus der Analyse. Erstens, dass produktive Arbeitsumgebungen nicht vollkommen entspannt oder stressfrei sind, sondern mit einem mittleren Aktivitätsniveau einhergehen. Zweitens ist es hilfreich, wenn die Führungskräfte ihre Ansprachen und Vorgaben während der Arbeitszeit machen, sodass in den Pausenräumen darüber gesprochen werden kann (schließlich ging eine erhöhte Kommunikationsaktivität mit höherem Glück und höheren Abschlussraten einher).

Die Grenzen von Workforce Analytics

Kommt es aber in den nächsten Jahren wirklich zu einer Revolution in der Personalarbeit? Aktuell hat die HR-Funktion meist weder das Wissen noch die technischen Mittel, um die richtigen Fragen zu stellen und die verfügbaren Daten auswerten zu können (Angrave et al. 2016). Kenntnisse in Statistik und Data Mining sind zwar notwendig, aber nicht hinreichend, um den datengetriebenen strategischen Mehrwert zu liefern. Hinzukommen muss ein profundes Verständnis betriebswirtschaftlicher und sozialpsychologischer Zusammenhänge – allgemein und speziell auf das Unternehmen bezogen. Hier können Personaler punkten und ihr Wissen und ihre Erfahrung in Stellung bringen.

Sind Wissen und Erfahrung keine Hindernisse, braucht es immer noch Daten in ausreichend großer und gut aufbereiteter Menge, das heißt, sie müssen genau, konsistent und sicher sein. Selbst wenn die Daten grundsätzlich vorliegen, können sie aufgrund von Datenschutzgesetzen nicht immer genutzt werden. Dies gilt zumindest im europäischen Raum: die Angst vor dem gläsernen Mitarbeiter ist in den USA deutlich weniger verbreitet und es herrscht eine andere Gesetzeslage. Überraschend mag in diesem Zusammenhang sein, dass beispielsweise das Tragen von „sociometric badges“ von den meisten Studien-Teilnehmern nicht als absolute Überwachung aufgefasst, sondern sogar positiv aufgenommen wird.

Unbestreitbar ist, dass Ergebnisse wie die oben präsentierten nicht einfach in andere Kontexte übertragbar sind (zum Beispiel den B2B-Vertrieb). Deshalb könnte auch die enge Korrelation von physischer Aktivität, Glück und Abschlussraten irreführend sein: weil beispielsweise der B2B-Vertrieb von längeren Zyklen geprägt ist, liegt auch mehr Zeit zwischen veränderten Aktivitätsleveln und Abschlussraten (die zudem auf Seiten des Kunden durch weitere Faktoren wie zum Beispiel dessen Jahresbudget beeinflusst werden).

Hinzu kommt ein sozialpsychologischer Faktor: Glück ist genauso wie die Gesprächsaktivität während der Pausen ein kollektives Phänomen. Ein Gespräch wird erst unter zwei Personen richtig interessant und als soziale Wesen, die die Gemeinschaft suchen und brauchen, können Menschen in der Isolation nicht glücklich werden.

Eine weitere Limitation der beschriebenen Studie ist, dass Produktivität beziehungsweise Erfolg nur anhand von Abschlussraten gemessen wurde. Was aber ist, wenn die Anzahl nicht vergleichbar ist, etwa weil unterschiedlich komplexe Produkte verkauft werden? Was ist mit weiteren, (nicht-)monetären Aspekten von Erfolg wie beispielsweise Margen beziehungsweise Deckungsbeiträge, eine hohe Kundenzufriedenheit beziehungsweise -loyalität, Wiederkaufsraten oder die Motivation der Vertriebsmitarbeiter oder so etwas schwer greifbares wie Teamzusammenhalt, zu dem auch Vertriebler mit schwachen Abschlussraten beitragen? Die Wechselwirkungen, die in komplexen sozialen Systemen wie Unternehmen herrschen, können durch eine Kennzahl nur unzureichend abgebildet werden. Eher ist bei solch eindimensionalem Management von interessengeleitetem Handeln auszugehen – sowohl auf Seiten der Führungskräfte als auch auf Seiten der Mitarbeitenden. Getreu dem Motto: “Tell me how you will measure me, and I tell you how I will behave”. Diese Logik verstärkt sich durch das Gefühl des Überwachtwerdens, sodass nur noch die Verhaltensweisen gezeigt werden, die beobachtet werden, während kreative, risikoreiche oder unbeobachtbare ausbleiben. Ob Kommunikationsaktivitäten, Glück und Abschlussraten in einem unmittelbaren kausalen Zusammenhang stehen, muss also in Frage gestellt werden.

Fazit

Mit den Buzzwords People Analytics beziehungsweise Workforce Analytics werden Konzepte bezeichnet, die die Personalprofession polarisieren. Befürworter heben die Chancen hervor und verweisen gleichzeitig darauf, wie weit andere Länder schon sind. Kritiker stellen auf die Risiken und Unzulänglichkeiten ab. Tatsache ist, dass nicht für alle personalwirtschaftlichen Probleme Workforce Analytics die Lösung bieten kann und dass neben Vorteilen auch Nachteile zu berücksichtigen sind – wie bei allen anderen (Personal-)Dienstleistungen in komplexen Organisationen.

Für die Praxis ist es deshalb entscheidend herauszufinden, warum Analytics keine Anwendung findet: Liegt es an der fehlenden Passung zum Problem? Oder weil einfachere Lösungen zu ähnlichen Ergebnissen führen? Oder liegt es daran, dass die Entscheider den Daten, Verfahren und Ergebnissen nicht trauen? Oder, dass sie sie nicht verstehen? Oder, dass sie nicht wissen, in welche Maßnahmen die Ergebnisse umzusetzen wären? Oder ist es eine Mischung aus alldem? Je nach dem hat die Reaktion seitens HR anders auszufallen: Business-Problem besser verstehen, Technologie nicht um der Technik willen einsetzen, Verständnis und Akzeptanz schaffen, kreative Maßnahmen entwickeln oder handlungsleitende Kennzahlen einsetzen. So oder so: HR wird sich Gedanken zu den Fragen und möglichen Antworten machen müssen (Gärtner 2017; Gärtner et al. 2017).

Weiterführende Literatur:

Angrave, D., Charlwood, A., Kirkpatrick, I., Lawrence, M., & Stuart, M. (2016). HR and analytics: why HR is set to fail the big data challenge. Human Resource Management Journal, 26(1), 1-11.

Fischbach, K., Gloor, P. A., Lassenius, C., Olguin, D. O., Pentland, A. S., Putzke, J., & Schoder, D. (2010). Analyzing the flow of knowledge with sociometric badges. Procedia-Social and Behavioral Sciences, 2(4), 6389-6397.

Gärtner, C. (2017). Mensch oder Maschine: Wer trifft die besseren Personalentscheidungen? HR Performance, 2/2017, 14-17.

Gärtner, C., Ritter, J.K., Sadowski, R., Strack, R., & von der Linden, C. (2017). Rethinking HR: Personalarbeit neu denken. Human Resources Manager, 05/2017, 98-101.

Yano, K., Akitomi, T., Ara, K., Watanabe, J., Tsuji, S., Sato, N., Hayakawa, M., & Moriwaki, N. (2015). Measuring happiness using wearable technology: Technology for boosting productivity in knowledge work and service businesses. Hitachi Review, 64(8), 517-524.

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Christian Gärtner

Quadriga Hochschule Berlin
Prof. Dr. Christian Gärtner ist Professor für BWL mit den Schwerpunkten Human Resource Management und Digitalisierung der Arbeitswelt – aktuell an der Wiesbaden Business School, ab Oktober 2020 an der Hochschule München. Darüber hinaus ist er seit über 20 Jahren als Organisationsberater, Trainer und Referent tätig. Schwerpunkte sind die Themen Smart HRM (Analytics, Automatisierung und Agilität im Personalmanagement), Digitale Transformation und Change Management.

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