Warum Agilität auch keine Lösung ist

Leadership

Agilität ist das Allheilmittel in einer komplexen Welt? Das ist Wunschdenken und verschenkt das Potenzial, das in dem Konzept steckt – besonders wenn es nur als Beruhigungspille für die Chefetage genutzt wird. Ein Denkanstoß von Svenja Hofert.

Der Betrieb mit Sitz im Umland von Hannover besteht seit 50 Jahren. Mitarbeiter arbeiten seit Jahrzehnten dort. Sie sind Command, Order & Control gewohnt. Führungskräfte verstehen sich dort als Entscheider und Kontrolleure. Mitarbeiter sind Individuen ohne gemeinsames Ziel. Sie wollen einen sicheren Job, um ihre Familien zu ernähren, auf der Arbeit möglichst keinen Ärger haben. Die Führungskraft, die mit Verve, aufgekrempelten Armen, inspiriert von moderner Managementliteratur dort mehr Selbstverantwortung einbringen wollte, ist nach wenigen Monaten hoffnungslos aufgelaufen.

So etwas höre ich oft. Agiles Management und agile Führung sind „in“. Führung soll Selbstorganisation ermöglichen und die Mitarbeiter dazu bringen, Verantwortung zu übernehmen. Doch dann knallt sie mit veralteten, bürokratischen Strukturen zusammen. Wie kann das geschehen? Wir sehen immer wieder, dass der Modebegriff Agilität Wunschdenken frei- und rationales Denken und Handeln aussetzt. „Wir wollen agiler werden“ ist in Wahrheit oft ein kindlicher Hilferuf. Schaut man genauer hin, steckt dahinter: „wir haben ein Problem und wissen uns nicht anders zu helfen als mit Agilität“. Agilität ist dann der Zaubertrunk – und wie alle Managementmoden mehr Schein als Sein. Beruhigungsmittel für die Chefetage.

Wenn wir uns die wahren Probleme anschauen, die hinter dem Ruf nach Agilität stecken, so sind es vor allem diese drei:

  1. Es fehlt die Strategie in der Digitalisierung. Alternativ gibt es eine Strategie, die keine ist, etwa ein dünner Claim wie „wir wollen digitaler werden“.
  2. Es fehlen gelebte Werte. Alternativ sind Werte irgendwo niedergeschrieben und man liest sie bei Bedarf nach. Sie existieren also nur auf Papier.
  3. Es bestehen Dysfunktionen, zum Beispiel köcheln Konflikte, die unter den Teppich gekehrt sind.

Fast immer liegt die Ursache für solche Dysfunktionen in fehlendem Vertrauen durch mangelnde Offenheit und einer Führung, die entweder eigenen Interessen folgt oder Dienstleistungsorientierung mit Laissez-faire verwechselt. All das kommt übrigens auch in angeblich bereits agilen Unternehmen vor – was noch mal zeigt, dass Agilität allein keine Lösung ist.

Die Ursache für diese Agil-Fehlsichtigkeit liegt aus meiner Sicht in dem Streben, alles zu vereinfachen und möglichst auf eine einzige Lösung zu fokussieren. Komplexität soll ausgemerzt werden, indem man zum Beispiel versucht Widersprüche aufzulösen – etwa dem zwischen Sonderrollen in Teams und Teamorientierung. All das steht dem agilen Gedanken entgegen.

Ein Unternehmen wächst nicht durch eine Methode, sondern durch permanente Arbeit daran. Es gibt nicht die eine Stellschraube, sondern sehr viele. Schrauben müssen außerdem immer wieder neu justiert werden. Und zwar nicht von einem Berater, der den Zaubertrunk per Konzeptpapier serviert, sondern von den Mitarbeitern selbst. Dazu gehört Einbindung. Damit fängt es an.

Steht die Strategie, sind Werte gelebt, Dysfunktionen so gut wie für den Moment möglich ausgeräumt, ist die wichtigste Aufgabe ein Wandel hin zu einer Teamkultur. Dazu braucht man ein Verständnis davon, was gute Teamarbeit ausmacht. Google hat es mit seinem Projekt Aristoteles versucht zu ermitteln. Der Konzern hat anhand der Daten von 180 Teams das Geheimnis effektiver Teams gesucht. Das überraschende Ergebnis: Gute Teamarbeit hat nichts mit dem Führungsstil zu tun, nichts mit der Persönlichkeit der Teammitglieder oder einer speziellen Zusammensetzung. Gute Teamarbeit braucht einfach nur emotionale Intelligenz und Respekt. In guten Teams bekommen alle den gleichen Raum. So etwas ist nicht in zwei Tagen trainierbar – Teams dahin zu entwickeln, braucht ein passendes Umfeld und viel Zeit.

Emotionale Intelligenz und Respekt kommt von persönlicher Reife, die sich etwa an Selbstreflexion und Rücksichtnahme auf alle zeigt. Das Training agiler Kompetenzen, der Umbau der Firmenräume, neue Arbeitsplatzkonzepte, eine Duz-Kultur und eben auch agile Selbstorganisation: Das alles bringt nichts, wenn die Mitarbeiter unreif sind. Das erklärt, warum auch manche agile Projektteams oft ganz schön unter Konflikten ächzen. Die agilen Strukturen und Artefakte helfen bei einer fokussierten Zusammenarbeit, aber sie verändern das Denken nicht.

Die Lösung? Fangen Sie da an, wo es für Ihr Unternehmen passt. Agil bedeutet, sich flexibel und schnell an veränderte Bedingungen anpassen zu können. In diesem Sinn hat jedes Unternehmen bereits einen bestimmten Grad an Agilität, sonst wäre es nicht am Markt. Der nächste Schritt heißt hinschauen: Was ist bereits da? Was funktioniert? Und wie kann man das Funktionierende weiterentwickeln?

Der eingangs erwähnte Betrieb macht gute Umsätze, es gibt kein wirtschaftliches Problem. Aber das Unternehmen hat keine Digitalisierungsstrategie. Es war auch in der Personalpolitik nachlässig, sonst wäre die Belegschaft gemischter. Da sollte es anfangen. Und Führungskräfte einstellen, die etwas näher an der Mentalität der Mitarbeiter sind, aber doch so fortschrittlich, dass sie in kleinen Schritten etwas bewegen können. Es gilt Mitarbeiter langsam einzubinden, Verbesserungsvorschläge zu sammeln, die gesamte interne Kommunikation zu stärken. Das ist für den Anfang schon agil genug…

Unsere Newsletter

Abonnieren Sie die HR-Presseschau, die Personalszene oder den HRM Arbeitsmarkt und erfahren Sie als Erstes alles über die neusten HR-Themen und den HR-Arbeitsmarkt.
Newsletter abonnnieren

Svenja Hofert

Weitere Artikel