Steuere dich selbst, sonst tun es andere

Leadership

Es scheint, als holen die anhaltenden Diskussionen über schlechte Chefs und fehlende Führungskompetenz den Mitarbeiter aus der Verantwortung und führen zu überzogenen Erwartungshaltungen. Oder wie sonst ist es zu erklären, dass Unternehmen dringend den Unternehmer im eigenen Haus suchen und anscheinend nicht finden? Beide Seiten sollten umdenken. Ein Anstoß.

Die Mitarbeiter

Zahlreiche Mitarbeiter stellen ihren Vorgesetzten seit Jahren ein miserables Führungszeugnis aus und die „schlechten Chefs“ sind ein oft zitierter Kündigungsgrund: Von „kommuniziert miserabel“ über „unfähig, Entscheidungen zu treffen“ oder „kein Visionär“ ist alles vertreten. Für HR-Verantwortliche ist dies ein kaum auszuhaltender Zustand und so gilt es, dem ungenügenden Leadership den Kampf anzusagen. Entwicklungsmaßnahmen zum Thema „Führung“ haben seit Jahren Hochkonjunktur, denn die Vorgesetzten haben den strengen Anforderungen der Mitarbeiter gerecht zu werden. Die Human Ressource ist einfach zu wertvoll, als das man sich an ihr ausprobiert. In der Tat gibt es bereits reichlich Leader, die die perfekte Mischung aus Innovator, Transformator, Coach und Mediator sind. Wer jedoch diese Verhaltensvielfalt nicht in an den Tag legen kann, räumt doch bitte schön den Platz auf dem Chefsessel.

Dazu kommt, dass die gesellschaftliche Entwicklung von Jahr zu Jahr mehr auf das Konto der Mitarbeiter einzahlt und der technische Fortschritt ermöglicht, was lange nicht realisierbar war: Eine virale Diskussion anzustoßen über die mangelhaften Führungskompetenzen auf Deutschlands Chefetagen. Endlich können Mitarbeiter das laut aussprechen, was sie lange im Stillen ertragen mussten.

Die Chefs

Für Chefs sind die eigenen Mitarbeiter jedoch auch kein Zuckerschlecken mehr. Eigentlich, so lassen die Bosse verlauten, bräuchte es einen ganz anderen Mitarbeitertyp. Eine Art „Unternehmer im Unternehmen“. Einer, der sich mal was traut und selbst entscheidet, der die Initiative ergreift. Der nicht wegen jedem Gedöns das Büro stürmt und „mal eine Minute“ braucht, nur um dann zu fragen, ob man die Excel Zelle auf Seite 116 gelb oder orange schraffiert haben möchte. Chefs suchen händeringend nach Mitarbeitern, die dem Tempo der (Arbeits-)Welt folgen wollen, statt zu fragen, ob es dafür einen vorgeschriebenen Prozess gibt.

Unternehmenslenker, wie der deutsche Bank Chef John Cryan, holen in ihrer Verzweiflung ob fehlender Eigeninitiative beim Mitarbeiter zum Rundumschlag aus: In einer schriftlichen Nachricht vom September diesen Jahres bittet er die rund 100.000 Mitarbeiter: „Trauen Sie sich, zu entscheiden, statt auf eine Ansage von oben zu warten“

„Mutiger sein“, so Cryan weiter, „ist nicht nur die Sache des Vorstands“. Und damit die Botschaft auch beim letzten veränderungsresistenten Mitarbeiter ankommt, macht Cryan klar, „dass Vorsicht und Hierarchiedenken das Bankhaus lähmt“.

Was die Chefs womöglich schon lange sehen, mag der Mitarbeiter noch immer nicht blicken: Es muss sich grundlegend etwas ändern, in der Arbeitseinstellung der Mitarbeiter. Es scheint, als seien ganze Teams primär damit beschäftigt, sich um sich selbst zu drehen und hier und da mag man sich fragen, welchen Unternehmensbeitrag der Mitarbeiter überhaupt noch leistet. Feststeht: Kein Unternehmen kann es sich erlauben, durch die Arbeitseinstellung der Mitarbeiter gelähmt zu werden. Denn: Gelähmte kommen später ins Ziel … oder eben gar nicht.

Beide

Und nun? Schuldzuweisungen führen bekanntlich zu nichts und sind wohl eher als Zeichen von Flucht, Entmutigung oder Resignation zu sehen.

Vielleicht ist es an der Zeit sich auf das zu konzentrieren, was Chef und Mitarbeiter eint, und wenn es nur eine Begrifflichkeit ist. Fernab jeder Hierarchieordnung sind Chefs und deren Mitarbeiter schlussendlich Arbeitnehmer. Mag banal klingen, ist aber hilfreich, um den Blickwinkel zu verändern:

Konzentriert man sich nämlich in den Gesprächen mit Mitarbeitern oder Personalentwicklern ausschließlich auf den Begriff des Arbeitnehmers, fällt auf, dass es in dieser „Gruppe“ eine beachtenswerte Einigkeit gibt, und zwar dort, wo man es im beruflichen Umfeld eventuell zuletzt erwartet: beim Thema „Gefühl“. „Zu rasantes Arbeitstempo“, „ständiger Druck“, „Undurchschaubarkeit“ oder „Fremdsteuerung“ sind Merkmale, die von Arbeitnehmern (also Chef, wie Mitarbeiter) häufig übereinstimmend genannt werden, wenn man mit ihnen über die Herausforderungen des beruflichen Alltags spricht. Subjektive Gefühle, die offensichtlich zu einem kollektiven Entscheidungsverlust in den Unternehmen führen. Das klingt nicht nur nach massivem Stress. Das ist es auch.

Übereinstimmungen

Würde es die Debatten zu Unfähigkeiten und fehlenden Kompetenzen verändern, wenn die jeweiligen Erwartungshaltungen schlichtweg als die Bedürfnisse von individuell gestressten Arbeitnehmern betrachtet würden? Wie sähe der Diskurs aus, wenn sich Chef, wie Mitarbeiter darüber bewusst wären, dass sie mit gleichwertigen Herausforderungen und Ängsten zu kämpfen haben?

Eventuell wäre es dann für alle Beteiligten möglich, sich von der Vorstellung zu lösen, dass es immer der Andere ist, der etwas zu tun oder zu lassen hat, sein Verhalten ändern muss? Und vielleicht hätte es einen Einfluss auf die offensichtlich ersehnte Selbststeuerung eines jeden Einzelnen, weil die Verantwortung für Veränderungen dann eben nicht beim Gegenüber gesehen würde?

Die Entwicklung zum „schwarze Peter“-Spiel, so viel lässt sich sagen, produziert sehr viel Drama und kostet noch mehr Kraft. Das das zulasten aller Beteiligten geht und schlussendlich auch dem Unternehmen schadet – daran kann wohl keinem gelegen sein.

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Alexandra Götze

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