Rezension: „Schluss mit dem Wahnsinn im Büro“

Personalmanagement

Wenn der Wahnsinn im Büro alltäglich geworden ist, wenn Chaos, Angst und Stress das eigentliche Tun überlagern, wird es höchste Zeit innezuhalten und umzudenken. Wege zu einer entspannten Arbeitskultur verspricht ein neuer Ratgeber.

Sie sind ständig busy, erledigen alles asap und brauchen kaum Schlaf? Sind top vernetzt, behalten permanent diverse Kanäle und Chatverläufe im Blick? An der Kultur Ihres Unternehmens mögen Sie besonders, dass Sie dort alle als eine große Familie zusammenarbeiten und Freizeit mit Job verblenden? Sie setzen sich ehrgeizige Ziele, verfolgen Planzahlen und leben dabei dennoch Disruption und Change? Wandel ist immer und Wachstum ist alles für Sie?

Dann läuft bei Ihnen etwas ganz gewaltig schief – zumindest aus Sicht von Jason Fried und David Heinemeier Hansson, Autoren des Ratgebers „Schluss mit dem Wahnsinn im Büro“. Seit 2003 führen die beiden Amerikaner als CEO und CTO das von ihnen gegründete Software-Unternehmen Basecamp. Dabei handelt es sich aber keineswegs um eine hippe Bude im Silicon Valley, die andere Arbeitgeber Fanciness lehrt. Ganz im Gegenteil.

Business-Außenseiter auf Mission

Die Autoren geben sich schon auf den ersten Seiten als „Business-Außenseiter“ zu erkennen. „Viele Best Practices sind reine Folklore“, heißt es in einem der vielen kurzen Kapitel des Buchs. Dennoch finden sich in den meisten der kurzen Kapitel Sätze, die mit „Wir bei Basecamp …“ beginnen. Das weckt den Verdacht, die Unternehmer nutzten das Buch als reines PR-Instrument. Aber: Sie haben tatsächlich auch etwas zu teilen, das Substanz hat. Und berichten freimütig von Situationen, in denen sie sich selbst verrannt haben, von Pannen und Krisen, aus denen sie ihre heutige Kultur abgeleitet haben.

Unter den Hauptüberschriften „Zügeln Sie Ihren Ehrgeiz“, „Verteidigen Sie Ihre Zeit“, „Pflegen Sie Ihre Kultur“, „Analysieren Sie Ihre Prozesse“, „Kümmern Sie sich um Ihre Dinge“, erklären sie knapp und pointiert, warum sie sich keine Zielzahlen setzen, große Meetings vermeiden und die gute alte E-Mail der Echtzeitkommunikation via Chat vorziehen. Sie wettern gegen ständige Unterbrechungen des Arbeitstags („Eine Qualitätsstunde hat 1 x 60 Minuten, nicht 4 x 15 Minuten!“) und plädieren fürs zeitweilige Arbeiten mit Tunnelblick. Ebenfalls auf der „To-don’t –Liste“: Mitarbeitern zu suggerieren, man sei eine Familie. Das sei eine perfide Idee, da Manager damit den Heldenmut des Einzelnen weckten, rationale Eigeninteressen hintanzustellen.Das alles heißt derweil nicht, dass die beiden Gründer alle Prinzipien der New-Work-Bewegung über Bord werfen. So schwören auch sie dem Zeitgeist entsprechend auf iterative Prozesse, Vertrauenskultur und Chefs, die sich zurückalten und Aufgaben abgeben.

Der Tenor: Keep it simple

Selten sind 230 Seiten Ratgeberlektüre so kurzweilig. Wobei die Nettoseitenzahl deutlich geringer ist: Zwischen den Mini-Kapiteln eingestreut sind ganzseitige Illustrationen bekannter Denker verschiedenster Epochen und Disziplinen mit jeweils einem Zitat zu ihrer Arbeitsweise („Charles Darwin veröffentlichte 19 Bücher, darunter das Werk ‚Über die Entstehung der Arten‘, und arbeitete dabei nur 14 Stunden am Tag.“). Das Cover verspricht leichte Kost, die portionierten Tipps sind in all ihrer Einfachheit aber gehaltvoller, als man meinen könnte.

Die Autoren betonen mehrfach, sich mit den Tipps an alle Büroarbeiter zu richten, egal welcher Funktion. Die meisten Unternehmensmitarbeiter werden allerdings wenige Chancen haben, sie entkoppelt von den systemischen Bedingungen umzusetzen. In erster Linie sind sie also für das höhere Management interessant. Zudem geht es insbesondere um Entscheidungen, die in der Entstehungsphase getroffen werden – solche, die oft unbequem sind: „Ein entspanntes Unternehmen zu führen, ist nicht die übliche Art, wie Unternehmen heute geführt werden. Sie müssen dabei für eine gewisse Zeit gegen Ihr Bauchgefühl arbeiten. Sie müssen schädliche Branchenstandards ignorieren. Und Sie müssen erkennen, dass der Wahnsinn im Büro falsch ist.“

Es handelt sich eben nicht um das übliche Binsen-Best-of. Gerade für Gründer und HRler eignet sich das Buch als Grundlage zum Streiten, zum Diskutieren über Grundsätzliches, zum Herantasten und Fällen von Entscheidungen. Die vielleicht entscheidende Botschaft: Ihr Unternehmen ist ein Produkt. Es entsteht aus unzähligen Entscheidungen, es will gestaltet und verbessert werden. Sind die Mitarbeiter gestresst und ausgezehrt, dann ist es ein schlechtes Produkt, das wohl kaum gute Ergebnisse hervorbringen wird.

Das alles ist nicht neu, wird aber oft vergessen. Das macht das Buch zwar nicht zum nächsten großen Wurf der Innovationskonzepte – aber es demonstriert, wie sich kulturelle Prozesse mitunter verselbstständigen, es lässt uns aufhorchen und auf Wesentliches besinnen. Also: Nehmen Sie sich Zeit zu lesen – am besten eine Stunde am Stück.

Schluss mit dem Wahnsinn im Büro. Wege zu einer entspannteren Arbeitskultur

Schluss mit dem Wahnsinn im Büro. Wege zu einer entspannten Arbeitskultur. Jason Fried, David Heinemeier Hansson, 232 Seiten, Vahlen Verlag, 24,90 Euro

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Anne Hünninghaus, Foto: Jana Legler

Anne Hünninghaus

Anne Hünninghaus ist Journalistin und Redakteurin bei Wortwert. Sie war von Januar bis Oktober 2019 Chefredakteurin i. V. des Magazins Human Resources Manager. Zuvor arbeitete die Kultur- und Politikwissenschaftlerin als Redakteurin für die Magazine politik&kommunikation und pressesprecher (heute KOM).

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