Wir brauchen jetzt psychisch gesunde Führung!

Leadership

Während der Corona-Krise steigt die Zahl psychischer Belastungen. Gute Führung lenkt gerade jetzt den Fokus auf das mentale Wohlbefinden von Beschäftigten.

Psychische Belastungen und Erkrankungen waren immer schon Teil der Arbeitswelt –auch, wenn so gut wie nie offen darüber gesprochen wird. Jeder vierte Erwachsene in Deutschland erfüllt im Zeitraum eines Jahres die Kriterien einer psychischen Erkrankung. Noch weit mehr fühlen sich in ihrem Alltag häufig psychisch belastet oder erleben Phasen der Überanstrengung. Gesellschaftliche Ausnahmezustände wie die Covid-19 Krise belasten unsere Psyche dabei zusätzlich. Denn obwohl menschliche Reaktionen auf ebensolche Krisen auf einem Kontinuum liegen (wie übrigens auch unsere psychische Gesundheit), reagieren wir in als bedrohlich empfundenen Ausnahmesituationen mit ähnlichen, sehr alten „Notprogrammen“: Wir (möchten) fliehen, kämpfen oder erstarren –auch, wenn das bei einem Virus natürlich weniger effektiv ist.

Diese vom US-amerikanischen Physiologen Walter Cannon untersuchte Fight-, Flight- und Freeze-Reaktion kann zu erhöhter Wachsamkeit und Angst, zu Blackouts oder Denkblockaden und verminderter Leistungsfähigkeit führen. Kurzum: In einer Krise wie dieser kämpfen wir gegen evolutionäre Programme an, die uns daran hindern, entspannt und leistungsfähig zu sein.

Ausnahmsloser Ausnahmezustand

Auch, wenn ein Teammitglied keine Erfahrungen mit psychischen Erkrankungen hat, wird es in diesem Klima mit einem gewissen Maß an Ängsten konfrontiert sein, die sich je nach Disposition und Stresslevel mehr oder weniger belastend auf seine psychische Gesundheit auswirken können. Die dauerhafte Arbeit im Homeoffice bringt dabei noch zusätzliche Herausforderungen mit sich – Kinder wollen bespaßt (und beschult!), Angehörige möglicherweise gepflegt und Privatleben und Beruf in eine Balance gebracht werden. Zusätzlich zu sozialer Isolation und gesundheitlicher sowie wirtschaftlicher Unsicherheit entsteht so für alle Menschen ein Ausnahmezustand, der aufs Gemüt drücken kann.

Psychisch gesunde Führung: Wenn nicht jetzt, wann dann?

Um Mitarbeiter:innen in solchen Zeiten zu entlasten, ist es wichtig, diese Umstände im Blick zu behalten. Wer jetzt weiterhin „business as usual” erwartet und ein High-Priority-Meeting nach dem anderen auf die Agenda setzt, sägt nicht nicht nur am Vertrauensverhältnis mit dem Team, sondern erschwert sich langfristig auch gute Zusammenarbeit und Performance.

Doch man kann es auch positiv formulieren: Führungskräfte, die in dieser Zeit mit Blick aufs Team führen und psychisches Wohlergehen priorisieren, können sich auch über die Krise hinaus einen Namen machen. „Wondered how to be a great coach and mental health advocate for your team? This is your time to shine!” bringt es Naomi Ryland, Gründerin von tbd*, in einem kürzlich erschienenen Artikel auf den Punkt.

Führungskräfte sind die Kulturschaffenden in Unternehmen und nehmen eine zentrale Rolle ein, wenn es um den Erhalt der psychischen Gesundheit ihrer Teams geht. Psychische Gesundheit zur Leitplanke des eigenen Agierens als Führungskraft zu machen, bringt in der Krisenzeit –und darüber hinaus – wichtige Vorteile mit sich: Es stärkt das Vertrauen, verbessert die Zusammenarbeit und das Engagement.

Unsicher, wie das konkret aussehen kann? Hier kommen fünf Anhaltspunkte, die dabei helfen können, den eigenen Führungsstil in Corona-Zeiten psychisch gesundheitsförderlicher zu gestalten:

1. „Assuming good faith”

Vielleicht schon mal gehört? „Assuming good faith”, so heißt ein zentrales Prinzip der Zusammenarbeit auf Wikipedia, mit denen die Wissensplattform die Kooperation ihrer Mitwirkenden konstruktiv gestaltet. „Vom Guten ausgehen” oder „einen Vertrauensvorschuss geben” – übertragen auf das eigene Führungsverhalten in der Krise bedeutet das, dem Team zu vertrauen, dass alle gerade ihr Bestes geben. Produktivität und Motivation in einem in einer Krise gezwungenermaßen remote arbeitenden Team zu fördern heißt zunächst einmal, den Druck rauszunehmen –alles andere ist kontraproduktiv.

2. Das gute Beispiel sein

Wer als Teamlead auch in Krisenzeiten noch 120 Prozent gibt und genau das auch von anderen erwartet, setzt Standards, die für die meisten nicht zu realisieren sind und schlicht an deren Lebensrealität vorbei gehen (siehe oben: Krise, Kosten, Kinder…). Jetzt ist die Zeit, auch als Leader Selfcare zu priorisieren und sie auch beim Team zu fördern. Wer von seiner Führungskraft weiß, dass auch diese sich sorgt, mit der neuen Situation hadert und womöglich psychisch belastet ist, fühlt sich gesehen und akzeptiert. Offen darüber zu kommunizieren, schafft eine Kultur des Vertrauens, die nachweislich psychische Gesundheit fördert.

3. Transparent kommunizieren

In Krisenzeiten neigen wir zum Tunnelblick: Vieles, was uns auf den ersten Blick unwichtig erscheint, fällt sofort hintenüber. So auch transparente und präzise Kommunikation. Die ist aber besonders wichtig, um psychologische Sicherheit herzustellen und Gefühlen des Kontrollverlustes vorzubeugen. Muss ich mir Sorgen um meinen Job machen? Wo liegt die Agenda für das neue Projekt ab? Wie sind unsere Kernarbeitszeiten im Team? Klare Ansagen zu machen und ruhig mal zu viel zu kommunizieren, als zu wenig, ist in diesen Zeiten angebracht.

4. Kontakt halten

Wir alle haben diese eine Freundin, die sich nie beschwert und scheinbar mit allem klarkommt. Auch, wenn auf den ersten Blick vielleicht alle im Team in diese Kategorie fallen: Der Schein trügt. Zu zeigen, was gerade nicht so läuft, und noch dazu vor der Chefin, braucht Mut –ist aber wichtig, um Gesundheit, Motivation und Arbeitsqualität zu erhalten. Gerade jetzt lohnt es sich, mehr nachzufragen, mehr Präsenz zu zeigen und ein dahin gesagtes „Alles gut!” auch mal zu hinterfragen. Regelmäßige Check-Ins oder Retrospektiven können dabei helfen, unterstützenden Kontakt zur Gewohnheit zu machen.

5. Werte stärken

Das Virus kontrollieren? Unmöglich. Andere Dinge haben wir aber durchaus in der Hand. Als Leader können wir uns entscheiden, mit welchen Werten wir unsere Teams durch die Krise leiten möchten. Persönliche Werte können in diesen Zeiten als Leitplanke für das eigene Handeln dienen und auch dem Team Verlässlichkeit und Konstanz vermitteln. Diese Werte müssen nicht im Verborgenen bleiben. Klar ausgesprochen können sie allen als Fixpunkt für das eigene Arbeiten dienen und das gegenseitige Vertrauen stärken.

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Benthe Untiedt, selbstständige systemische Beraterin

Benthe Untiedt

Dipl.-Psych. Benthe Untiedt ist selbstständige systemische Beraterin. In ihren Coachings und Workshops unterstützt sie Einzelpersonen und Teams psychisch gesund zu bleiben. Außerdem berät sie Firmen im Umgang mit psychisch belasteten Mitarbeiter:innen. ueberwinden.com
Nele Groeger, Shitshow - Agentur für psychische Gesundheit

Nele Groeger

Nele Groeger ist Mitgründerin von Shitshow – Agentur für psychische Gesundheit, einer Beratungsagentur im Themenfeld Mental Health. Dort ist sie verantwortlich für Consulting & Communications. Seit 2018 berät Shitshow gemeinsam mit einem Netzwerk aus Psycholog:innen, HR- und BGM-Expert:innen Organisationen in Hinblick auf einen nachhaltigen Umgang mit psychischen Ressourcen und den Umgang mit Betroffenen von psychischen Belastungen.

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