Machtgerangel

Leadership

Menschen in Führungspositionen verteidigen oft ihr Terrain.

Zu viel Eigeninitiative oder gar ihre extreme Ausformung, der Aktionismus, kann rebellisch wirken – vor allem in von Hierarchie geprägten Unternehmen. Übergehen Beschäftigte bei Ideen oder Vorhaben Instanzen, werten Führungskräfte das je nach Persönlichkeit als Angriff auf ihre Position. Kommt es zu Machtkämpfen und Statusspielen, betrifft dies nicht nur die Beteiligten: Es kann ganze Teams in Mitleidenschaft ziehen oder gar die gesamte Unternehmenskultur vergiften. Klar ist, wenn Menschen aufeinandertreffen, wird es immer Konflikte geben. Sie gehören zur sozialen Interaktion. Nur ist es wichtig, sie zu lösen, statt sie im Kampf auszufechten oder schwelen zu lassen.

Autorität und Widerstand

Hierarchien sollen Struktur in eine Organisation bringen. Gerade Großunternehmen setzen auf Führungsprinzipien mit unterschiedlichen Managementebenen. Das führt keineswegs per se zu Unstimmigkeiten zwischen Führungskräften und Teams. „Machtgerangel entsteht, wenn die Hierarchiebildung keinen sortierenden Charakter hat, sondern einen nicht sachgerechten Abstand herstellt, der sich an einer Autorität ausmacht“, sagt Katja Kraus, geschäftsführende Gesellschafterin der Kommunikationsagentur Jung von Matt Sports. Die frühere Fußballtorhüterin sieht keinen Grund dafür, warum moderne Unternehmen starre Hierarchien festlegen sollten, die auf Autorität ausgerichtet sind. Es brauche aber sicherlich noch Instanzen, die das Gesamtbild im Blick haben und auf dieser Basis die Entscheidungen treffen. Sie beobachtet auch in Großunternehmen einen Umbruch. In Anbetracht immer komplexer werdenden Aufgaben und einem sich wandelnden Führungsverständnis bei den Angestellten seien viele zunehmend gewillt, Strukturen zu ändern.

Die ehemalige Vorständin für Marketing und Kommunikation des Fußballvereins Hamburger SV hat sich während ihrer Laufbahn systematisch mit Machtfragen auseinandergesetzt. Mit ihnen befasste sich Kraus auch in ihrem Buch Macht. Geschichten von Erfolg und Scheitern. Als sie im Jahr 2003 ihren Job antrat, war sie die erste Frau im Vorstand eines Männerbundesligaklubs – in einem von Männern dominierten Management. Besonders am Anfang ihrer Karriere war sie enormem Widerstand ausgesetzt: „Frauen waren damals nicht nur nicht eingeladen, sondern auch nicht gewollt“, sagt Kraus. Der exponierten Rolle folgten kritische Auseinandersetzungen mit ihrer Personalie – weniger im Kollegenkreis oder bei den Spielern als bei Medienvertreterinnen und -vertretern. Es gab Ressentiments aufgrund ihres Geschlechts. Im Verlaufe der Vorstandsposition seien diese selten offen spürbar gewesen, erfolgten eher in Form von Ausgrenzung oder indirekter Kritik. Als Rebellin habe man sie damals nicht wahrgenommen, sagt sie. Dies sei eher der Fall, seit sie sich für mehr Frauen und Diversität im Management und in der Sportbranche einsetzt.

Konflikte unter dem Brennglas

Oben ist die Luft bekanntlich dünner. Das gilt auch in Unternehmen. Mit jeder Ebene in Richtung Spitze stehen weniger Führungspositionen zur Verfügung. Anwärterinnen und Aufsteiger, die einen Managementposten anstreben, gibt es hingegen viele. „Manche Geschäftsführungsetagen sind kleine Haifischbecken“, sagt Bettina Janssen, Führungskräftecoachin und Mediatorin. Das Ringen um eine Position wirkt sich auf Unbeteiligte aus – auch wenn es hinter geschlossenen Türen geschieht. „Das Team bekommt es mit. Nicht nur unterschwellig wird häufig eine gewisse Stimmung verbreitet“, sagt die promovierte Juristin. Eine Ursache für Machtgerangel sieht sie insbesondere in Ziel- und Strategiekonflikten. Es gehe darum, ob alle das gleiche Wir sehen und gemeinsame Werte verfolgen. Dies bestätigen auch ihre Befragungen, die sie am RIK Institut für Konfliktforschung und präventive Beratung der Rheinischen Fachhochschule Köln durchgeführt hat. Demzufolge haben sich beispielsweise während der Corona-Krise Konflikte verstärkt, die Solidarität unter Mitarbeitenden sowie unter Führungskräften hat abgenommen. Aufgrund der Ausnahmesituation seien Konflikte liegen geblieben und nicht ausreichend behandelt worden, sagt Janssen. Corona habe das Brennglas daraufgelegt. Jetzt, je ruhiger es rund um die Pandemie und ihre Auswirkungen werde, zeigen sich die Versäumnisse mehr.

Konflikte entstehen aus unterschiedlichen Wünschen und Bedürfnissen heraus. Auf die Arbeitswelt bezogen macht Janssen einen Konflikt häufig an Stress und Überforderung der Beteiligten fest. In der Regel stehe dabei Anerkennung, ein Nicht-gesehen-Werden, im Mittelpunkt. Die Mediatorin unterscheidet zwischen einer Auseinandersetzung wie einem leichten Streit und einem Konflikt. Bei Letzterem sei die Ausgangslage etwas schwieriger. Der Grund: Jemand ist auf der emotionalen Ebene getroffen. Die Personen kommunizieren nicht mehr auf der Sachebene. Janssen beschreibt es als ein langsames Hochschaukeln. Sie stellt einen Konflikt in verschiedenen Stufen dar: Auf der ersten Ebene versuchen Personen ihr Gegenüber zu überzeugen, auf der nachgelagerten Ebene geht es um das Knüpfen von Seilschaften. „Ab einer gewissen Ebene muss die HR-Abteilung oder eine neutrale Instanz hinzukommen, um den Konflikt zu regeln“, sagt Janssen. Manchmal werde die Mediatorin auch zu spät hinzugezogen. An einem bestimmten Punkt gebe es dann nur noch die Entscheidung, dass die am eskalierten Konflikt Beteiligten getrennte Wege gehen.

Konflikte bedeuten jedoch nicht gleichzeitig Rebellentum, auch wenn sie daraus entstehen können. „Als rebellisch werden Beschäftigte wahrgenommen, die das System oder die Strukturen infrage stellen“, sagt die Kölner Mediatorin. Sie bewertet das positiv. Wenn ein Unternehmen wenig Neues ausprobiere, habe es durchaus etwas Gutes, wenn jemand Kritik äußere. Es komme nur darauf an, wie er diese kommuniziert.

Rituale als Ventil

„Konflikte sind der Motor für Innovation“, sagt Christoph Maria Michalski, Berater und Autor des Buchs Die Konflikt-Bibel. Konflikte können auch im Inneren entstehen, beispielsweise wenn jemand hadert, eine Weiterbildung anzugehen. Der Experte für Konfliktmanagement bezeichnet dies als eine Antriebsfeder. Die Kunst der Führung sei es, diese Kraft zu nutzen. Mit Konflikten umgehen zu können, zeugt für ihn von persönlicher Souveränität. Er merkt an, dass Großunternehmen mit mehreren zigtausend Beschäftigten Konflikte wenig gebrauchen können. „Um ein großes Schiff in Bewegung zu halten, braucht es nicht an jeder Ecke Konflikte, Rebellion oder Innovation“, sagt Michalski. Vielmehr gehe es darum, dass Beschäftigte ihrer Arbeit nachgehen. Dies sei auch ein Grund dafür, warum sich große Tanker Beiboote suchen. Damit meint er Konzerne, die Start-ups kaufen oder gründen, um diese als Ideeninkubator zu nutzen. Er selbst hat nach vielen Jahren in Konzernen festgestellt, dass seine Persönlichkeit für die Strukturen nicht gemacht ist. Er wollte frei gestalten, habe aber nie das geerntet, was er sich erhoffte. Heute konzentriert sich Michalski auf die Konfliktbewältigung in inhabergeführten Familienunternehmen. In der Regel beauftragt ihn die Inhaberin oder der Chef, wenn etwas an der Basis nicht stimmt. „Es braucht den Willen von oben, etwas anders zu gestalten“, sagt er. Alles andere vergleicht er mit einem aufgeklebten Pflaster, das nichts Grundlegendes verändert.

Der Experte hält Führungskräfte für Alphatiere, die ihr Terrain haben. Dieses abzustecken könne sinnvoll und systemimmanent sein. Schwierig werde es hingegen, wenn es dem Eigeninteresse und nicht dem Unternehmen diene. Es ist wie beim Schach: Der Bauer geht voran und kann schlagen, der König ist bewegungsunfähig und muss geschützt werden, die Dame hingegen kann in alle Richtungen gehen und behält den Überblick – sie ist die wahre Führungskraft. Sie sorgt für Regelkonformität, damit die Bauern nur in eine Richtung laufen. Bauern haben sich also an bestimmte Regeln zu halten, möchten sie andere Wege einschlagen, können sie sich aber auch zum Läufer weiterentwickeln

„Emotionen sind die Botschaften von Bedürfnissen“, sagt Michalski. Zu Bedürfnissen im Arbeitskontext zählt er unter anderem Sicherheit, Zugehörigkeit und Wachstum. Bei einem Konflikt müsse man nach dem Bedürfnis dahinter fragen beziehungsweise die Emotion in ein Bedürfnis überführen. „Wenn dieser Transfer gelingt, lässt sich darüber reden“, sagt der Experte. Das bedeute jedoch nicht, dass der Konflikt gelöst sei. Es öffne allen Beteiligten die Möglichkeit, ins Gespräch zu kommen. Damit sich Emotionen gar nicht erst aufstauen, helfen Rituale wie Meetings oder Gesprächsregeln. Er rät zu einer Meeting-Kultur, die beispielsweise mit dieser Frage beginnt: Was hat dich heute am meisten genervt? Menschen haben dann das Gefühl, sie können Sachen auf den Tisch bringen. Damit verschafft die Teamleitung ihnen ein Ventil, und ein Konflikt kann gar nicht erst beginnen zu schwelen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Rebellion. Das Heft können Sie hier bestellen.

Unsere Newsletter

Abonnieren Sie die HR-Presseschau, die Personalszene oder den HRM Arbeitsmarkt und erfahren Sie als Erstes alles über die neusten HR-Themen und den HR-Arbeitsmarkt.
Newsletter abonnnieren
Sven Lechtleitner, Foto: Privat

Sven Lechtleitner

Journalist
Sven Lechtleitner ist freier Wirtschaftsjournalist. Er hat ein Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg sowie ein Fernstudium Journalismus an der Freien Journalistenschule in Berlin absolviert. Von November 2020 bis Juli 2022 war er Chefredakteur des Magazins Human Resources Manager.

Weitere Artikel