Gläserne Gedanken

Personalmanagement

Die Kommunikation der Zukunft ist transparent, ehrlich, international und absolut simpel. In diese Richtung versuchen sie zumindest führende Tech- und Internet-Unternehmen zu revolutionieren. Über den Sinn und die ethische Komplexität der Visionen von Mark Zuckerberg und Co.

Für den Anfang brauchen wir noch Buchstaben. „I-c-h k-o-m-m-e h-e-u-t-e s-p-ä-t-e-r“ bedeutet: 19-mal konzentrieren und die einzelnen Zeichen vor dem inneren Auge imaginieren, dann erscheint die Nachricht auf dem Display – und das ganz wie von selbst. So könnte unsere Kommunikation der Zukunft aussehen.

Im April hat der Internetkonzern Facebook auf seiner Entwicklerkonferenz im kalifornischen San José bekannt gegeben, an einer Technik zu forschen, die es in Zukunft ermöglichen soll, Gedanken in Schrift umzuwandeln. Funktionieren soll das mittels am Kopf befestigter Sensoren. „Es klingt unmöglich, aber es ist näher, als es Ihnen bewusst ist“, bekräftigte Regina Dugan, Leiterin der Forschungsabteilung des Unternehmens, „Building 8“, vor Ort. Ein 60-köpfiges Team arbeitet in den USA daran, die Visionen von Facebook-Chef Mark Zuckerberg wahr werden zu lassen – stets gut vernetzt mit Forschungsinstituten auf der ganzen Welt.

Bereits im vergangenen Jahr hatte Zuckerberg in einem öffentlichen Chat mit dem an der Nervenkrankheit ALS leidenden Astrophysiker Stephen Hawking seine Vorstellungen einer Art internetgestützter telepathischer Kommunikation geteilt. Es werde – und hier geht der Facebook-Chef noch einen Schritt weiter – eines Tages möglich sein, andere ganz unvermittelt an den eigenen Gedanken und Gefühlen teilhaben zu lassen: „Du wirst einfach an etwas denken und deine Freunde werden im gleichen Moment in der Lage sein, deine Gedanken mitzuerleben.“ Zuckerberg kann in diesem Zusammenhang durchaus als Pionier betrachtet werden. Er ist aber nicht der einzige Konzernchef, der daran arbeitet, Ideen zu verwirklichen, die bis vor Kurzem noch als Science-Fiction galten. Tesla-Gründer Elon Musk gab im Frühjahr bekannt, das Start-up Neuralink zu übernehmen, das ebenfalls darauf abzielt, das menschliche Gehirn mit Computertechnik zu verknüpfen. Zunächst wolle er auf diese Weise Assistenzsysteme für Hirnschlagpatienten entwickeln und anschließend dazu übergehen, auch die Gehirne gesunder Menschen effizienter zu machen.

Aber warum sollte ein gesunder Mensch überhaupt Interesse an Brain-Computer-Interfaces haben, also an einer Schnittstelle, die die Vernetzung von Gehirn und Internet zulässt? „Wir reizen heute die Kapazität unseres Gehirns überhaupt nicht aus“, sagt Stefan Meister, Communications Manager bei Facebook. „Wenn wir miteinander reden, spiegelt die Sprache nicht das wider, was unser Gehirn eigentlich leisten könnte.“ Das gesprochene Wort, sagt Meister, sei ein unzureichender Behelf, wie einst die Schreibmaschine. Es hinke dem Gehirn stets ein Stück hinterher. Eine postsprachliche Kommunikation habe außerdem den Vorteil, abbilden zu können, dass wir viele Dinge gleichzeitig denken und empfinden. „Wenn wir es schaffen, Technologien zu entwickeln, die auf die Sprache verzichten, dann können wir auf mehreren Ebenen gleichzeitig kommunizieren und so die Produktivität ins Unermessliche steigern“, erklärt er. Gerade für die Arbeitswelt klingt das erst einmal verlockend.

The Gap in Mind

Eingabemedien werden in ihrer Weiterentwicklung immer intuitiver und einfacher zu bedienen sein. Für den Internetsoziologen Stephan G. Humer, Dozent an der Hochschule Fresenius, ist es nur eine logische Konsequenz, auf lange Sicht eine Bewusstseinskopplung ganz ohne ein Zwischenmedium herzustellen. Aus seiner Sicht ist das vergleichbar mit dem Schritt hin zur Computermaus, mit der man auf Icons klickt, anstatt Tastaturkürzel zu verwenden. Die große kommunikative Revolution wittert Humer in der Telepathie-Vision nicht: „Wenn der letzte Schritt irgendwann getan ist und man nichts weiter tun muss, außer an bestimmte Dinge zu denken, ist das in erster Linie eine Interface-Verkürzung. Dahinter steckt ganz normales menschliches Verhalten.“ Doch wir werden nicht nur schneller, sondern auch transparenter: Die große Lücke, die bislang zwischen Denken und Sprechen klafft, könnte sich weiter schließen.

Um herauszufinden, was die Deutschen davon halten, Gedanken in Schrift umzuwandeln, startete das Meinungsforschungsinstitut Yougov Deutschland kurz nach Facebooks Entwicklerkonferenz eine Umfrage. Die Mehrheit der insgesamt 1.071 Befragten zeigte sich skeptisch bis ablehnend. Die Vision befanden aber immerhin 30 Prozent für positiv. Unter den 18- bis 24-Jährigen war die Zustimmung mit insgesamt 45 Prozent signifikant höher. Doch auch die größere Offenheit dieser Altersgruppe, glaubt Soziologe Humer, sei einem Wandel unterworfen: „Wenn die heutigen Digital Natives älter werden, werden sie skeptischer und konservativer, was das Teilen von Daten anbelangt.“ Dennoch beobachtet er insgesamt, dass sich die Auffassung von Privatsphäre und Datenschutz wandelt. Die Begriffe seien weniger statisch als früher. Für den Gesetzgeber, der definieren möchte, bis zu welchem Punkt die Datenpreisgabe akzeptabel ist, macht es das nicht unbedingt einfacher.

Stefan Meister hält die Yougov-Umfrage für verfrüht. Man dürfe im Zusammenhang mit dieser Forschung nicht Face­book als das soziale Netzwerk betrachten, sondern müsse weiterdenken. Brain-Computer-Interfaces seien Technologien, die erst in zehn bis 15 Jahren relevant würden. Was alles möglich sei, könne auch Facebook noch nicht absehen. „Wir möchten da gar nicht orakeln“, wiegelt der Sprecher ab. Technologien der Stunde seien Augmented Reality (AR), also die computergestützte Erweiterung der menschlichen Wahrnehmung, zum Beispiel durch Brillen und Linsen, und Virtual Reality (VR), die uns vollständig in die virtuelle Welt eintauchen lässt. AR ist jedoch nur eine Zwischentechnologie auf dem Weg zur Telepathie.

Wie realistisch ist Zuckerbergs Vision?

Aber wie weit ist die Forschung bisher überhaupt auf diesem Gebiet? Es klingt erst einmal einfach: Wenn wir denken, feuern Nervenzellen. In Abhängigkeit davon, in welcher Weise das geschieht, bilden sich Wörter, die wir in Schrift umsetzen können. Die Technik, die auch in bestehenden Assistenzsystemen genutzt wird, ist keine Gedankenübertragung und kein Gedankenlesen, sondern das schlichte Abgreifen dieser biologischen Signale. Das zu betonen ist dem Neurologen Gereon R. Fink wichtig. „Das ist kein Hokuspokus, Nervenzellen feuern und dadurch entsteht elektrische Aktivität oder eine Magnetfeldveränderung“, erklärt der Direktor der Klinik für Neurologie der Universität Köln. Diese Veränderung lässt sich aufzeichnen, beispielsweise via EEG und Kernspintomografie oder – was bisher nur experimentell genutzt wird – indem man Elektroden in den Kopf einpflanzt, um an die Hunderttausenden Nervenzellen heranzukommen, die nötig sind, um messbare Aktionspotenziale zu erzeugen.

Genau hier liegt jedoch laut Fink das technische Problem: Die Nervenzellen kommunizieren über Synapsen miteinander, im Millisekundentakt gibt es Veränderungen. Wie man die komplexen Signale von außen abgreifen kann, sei noch ungelöst. Möglich ist es bislang lediglich, Maschinen-Lern­algorithmen einzusetzen, die in der Lage sind, bestimmte Muster zu erkennen. Das heißt aber auch, dass man diese Muster mühsam trainieren muss, indem man immer wieder jeden einzelnen Buchstaben gedanklich fokussiert. Durch ein solches Erlernen funktionieren auch Spracherkennungssysteme wie Siri oder Alexa. „Diese Verfahren sind da, aber die Vorgänge sind nicht trivial“, sagt Fink. „Es freut mich, dass Facebook Geld in die Forschung steckt und ich begrüße die Entwicklung von Assistenzsystemen. Das wird aber nicht dazu führen, dass das Unternehmen über das Handy in Ihrer Hand künftig Ihre Gedanken lesen kann.“

Facebooks Etappenziel besteht darin, 100 Buchstaben pro Minute via Gedankenkraft auf ein Display zu übertragen. Von einer großen Zeitersparnis gegenüber dem getippten Wort lässt sich also in diesem Stadium kaum sprechen. Und auch bis dahin ist der Weg dem Neurologen Fink zufolge noch weit. „Die Frage ist auch, ob die Menschen das System so trainieren wollen. Ob sie es zulassen, dass man ihnen eine EEG-Haube aufsetzt, um zu sehen, ob ihnen etwas gefällt oder nicht.“

Nicht nur Gedanken, sondern auch Emotionen seien theoretisch abrufbar, würde man via Sensor am Smartphone den Hautwiderstand messen. Dieser könnte zum Beispiel Aufschluss darüber geben, wie man auf eine bestimmte Werbung reagiert. „Auch Emotionen sind nichts anderes als neurobiologisch verursachte Reaktionen, die über den Blutdruck, die Pupillen und den Hautwiderstand gemessen werden können“, so Fink. Die Frage ist also: Was lassen wir zu? Wollen wir gläsern werden und die Grenzen zwischen Realität und Virtualität vollständig aufheben?

Auf dem Weg zur Dystopie?

„Secrets are lies. Sharing is caring. Privacy is theft.“, das sind die obersten Prinzipien der konzerngesteuerten Gesellschaft in Dave Eggers vielbeachtetem dystopischen Roman „The Circle“. Ziel des im Buch geschilderten beinahe allmächtigen Internetkonzerns ist es, dass jeder Einzelne so gläsern wie möglich wird, dass man dem anderen – egal ob Freund oder Kollege – umfassenden Einblick in sein tiefstes Inneres gewährt, um das Netzwerk zu stabilisieren und die Zirkulation von Informationen über die Privatsphäre des Individuums zu stellen.

In seiner Kolumne „Lobes Digitalfabrik“ auf der Webseite Spektrum.de schreibt der Journalist Adrian Lobe, die Übertragung und Auslesung von Gedanken schaffe die Bedingungen freien und kritischen Denkens ab. Lobe verweist in diesem Zusammenhang auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs zu Selbstgesprächen aus dem Jahr 2011. Damals wurde entschieden, dass die Gedanken sogar beim „lauten Denken“ frei sind und der Staat keinen Zugriff auf sie nehmen darf. „Mark Zuckerberg, der immer in großen humanistischen Dimensionen redet, sollte sich diesen Satz ins Stammbuch schreiben“, findet Lobe. Die Menschlichkeit ende, wenn der Mensch nicht mehr frei denken darf.
„Wir setzen nicht den Milliarden Nutzern plötzlich irgendwelche Interfaces auf den Kopf“, bekräftigt hingegen Stefan Meister von Facebook Deutschland. Als Technologieunternehmen investiere Facebook in zukunftsträchtige Forschung zur besseren Vernetzung.

Obwohl jede neue Entwicklung auch ethische und moralische Fragestellungen birgt, begleitet zurzeit noch kein „Ethikbeauftragter“ die durch Facebook betriebene Forschung. Man würde sich im Entwicklungsprozess laufend darüber Gedanken machen, sagt Meister. „Wie bei den AR-Brillen kann eine gesellschaftliche Debatte erst richtig starten, wenn die Technologien ausgereift sind und wir über konkrete Einsatzmöglichkeiten sprechen. So weit sind wir aber noch lange nicht.“

Jede neue Technologie birgt ethische Risiken, die neuer Regeln bedürfen. „Ich verstehe, dass die Vorstellung Angst macht, ein Unternehmen könnte die Macht haben, Gedanken zu lesen. Das ist aber nicht unsere Zielsetzung. Unser Plan ist es, eine Technologie zu entwickeln, die Menschen dabei hilft, noch besser zu kommunizieren, und diese der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen“, sagt Meister und sinniert: „Wenn wir über die Gehirne direkt miteinander in Verbindung treten, brauchen wir dann noch verschiedene Sprachen oder Sprache im Allgemeinen? Diese Gedanken treiben uns um.“ Das Aufkommen von Horrorvisionen implantierter Mikrochips, die es unmöglich machen zu lügen, möchte er unbedingt verhindern. Zudem, betont Meister, bestehe die Vision auch nicht darin, dass Menschen dauerhaft ihre Gedanken preisgeben.

Die totale Transparenz wäre fatal

„Es darf natürlich keine Rund-um-die-Uhr-Übertragung unserer Gedanken geben. Eine solche totale Transparenz wäre eine Katastrophe“, sagt auch Soziologe Stephan G. Humer. Dennoch sieht er durchaus praktische Anwendungsmöglichkeiten. So könne man als Arzt oder Pilot über eine Bewusstseinskopplung wertvolle Millisekunden gewinnen. Und man könne auch im beruflichen Kontext sensibler auf die Kollegen eingehen, wenn man einen Einblick in deren Gefühlswelt bekommt. Sollte diese Art der Kommunikation tatsächlich irgendwann alltäglich werden, wird, so antizipiert der Soziologe, die Kontextualisierung unserer Botschaften noch wichtiger. Schon jetzt werden wir in unseren Selbstpräsentationen im Internet mit jedem neuen Profil, Bild oder Tweet transparenter. „Je umfangreicher und komplexer diese Präsentationen werden, desto mehr neigen wir dazu, uns auf Details zu konzentrieren“, sagt Humer. Indem wir Zitate aus dem Kontext nehmen und Bilder isoliert betrachten, lässt sich stets aus verschiedenen Quellen ein Weltbild zusammenbauen, das in sich stimmig ist.

Bricht der Filter „Sprache“ Stück für Stück weg, wird es noch wichtiger, mehr Toleranz aufzubauen und ein unpassendes Detail, einen verstörenden Gedanken des anderen nicht aus dem Gesamtbild zu lösen: „Wir bekommen schon jetzt immer mehr von den anderen mit, damit muss man umgehen können – auch im beruflichen Kontext“, sagt Humer. Es käme darauf an, öfter mal fünfe gerade sein zu lassen, nachsichtig zu sein. Wir sollten also mit der Information über Menschen künftig sehr viel behutsamer umgehen. Gleichzeitig trainieren wir im jetzigen „Vorstadium“, strategischer zu kommunizieren und uns zu vermarkten. Wer sich gut präsentieren kann und ein positives Außenbild vermittelt, hat seit der zunehmenden Digitalisierung immense Vorteile, derweil es kommunikativ weniger geschulte Menschen zunehmend schwerer haben – privat wie im Job.

„Die Sprache ist das effizienteste Kommunikationsmittel, das wir zur Verfügung haben“, sagt Neurologe Fink. „Die Computerindustrie arbeitet mit Hochdruck daran, von dem binären System mit Nullen und Einsen wegzukommen. Sie versucht Systeme zu entwickeln, die mit einer ähnlichen Effizienz arbeiten wie unser Gehirn.“

Die allzu menschliche Kommunikation ist – trotz all ihrer Defizite und mit ihren Filtern, ihrer Unvollständigkeit und der Möglichkeit zur Lüge – also nach wie vor das mächtigste Werkzeug, das wir im gesellschaftlichen Miteinander haben.

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Anne Hünninghaus, Foto: Jana Legler

Anne Hünninghaus

Anne Hünninghaus ist Journalistin und Redakteurin bei Wortwert. Sie war von Januar bis Oktober 2019 Chefredakteurin i. V. des Magazins Human Resources Manager. Zuvor arbeitete die Kultur- und Politikwissenschaftlerin als Redakteurin für die Magazine politik&kommunikation und pressesprecher (heute KOM).

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