Employee Assistance Programme: Wie führt man es ein?

Employer Branding

Frau Travi, ein Employeee Assistance Programme wird nicht über Nacht eingeführt. Warum kommen Personaler:innen auf Sie zu?
Astrid Travi: Es gibt verschiedene Motive, die Personalverantwortliche nennen. Manche Regionen oder Firmen leiden beispielsweise unter einem extremen Fachkräftemangel. Dort kann ein EAP Teil des Employer Branding sein, weil der Arbeitgeber damit punktet. Es kann zweitens auch sein, dass Mitarbeiter:innen die Personalverantwortliche häufiger ansprechen, weil sie gestresst sind, Schulden haben, keinen Kita-Platz bekommen oder ähnliches. Dann benötigt er oder sie Entlastung. Der dritte Grund ist, dass jemand im Unternehmen fehlt, der tiefe Expertise zu Themen wie zum Beispiel Sucht, Wiedereingliederung oder psychischer Belastung mitbringt. In Konzernen ist EAP oft „State of the Art“ und hat zum Beispiel bei Siemens bereits eine über 125-jährige Tradition.

Führen Unternehmen auch dann ein EAP ein, wenn ihre wirtschaftliche Situation schlecht ist?
Eher nicht, weil man dann glaubt, dass dafür kein Geld da ist. Die Einführung von EAP lohnt sich aber, gerade wenn die Zeichen im Unternehmen „auf Sturm“ stehen und Führungskräfte wie Mitarbeiter sehr belastet sind. Das merkt man an der Stimmung, an der Einsatzbereitschaft und manchmal auch am Krankenstand und an der Fluktuation.

Es ist also doch etwas für schlechte Zeiten?
Ja, aber nicht nur. EAP ist auch in einer positiven Hochleistungskultur sinnvoll. Gerade dann sind praktische, alltagstaugliche Hilfen wichtig, um die Balance zu halten, gerade für Mitarbeitende mit Familien. Und ganz ehrlich: Mitarbeiter:innen können immer Probleme haben, egal wie gut es einem Unternehmen geht.

Die Personalleitung hat den EAP-Bedarf erkannt, überzeugt sie die Geschäftsleitung mit einem Business Plan oder der Kurzschlussreaktion einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters?
Ich habe beides erlebt. Es hängt davon ab, wie die Geschäftsführung tickt. Manchmal muss man den Return on Investment, die Kosten einer inneren Kündigung oder einer Stellenneubesetzung vorrechnen. Oft ist EAP Teil des Employer Branding und gerade in Familienunternehmen Teil der unternehmerischen sozialen Verantwortung und des Wertesystems.

Brauchen Unternehmen viele Mitarbeitende, damit sich ein EAP rechnet?
Das halten die Anbieter unterschiedlich. Wir betreuen kleine Unternehmen mit rund 20 Mitarbeiter:innen, wie auch Konzerne mit 6.000 oder 20.000 Beschäftigten. Ich finde, es rechnet sich immer, weil es einen Beitrag zur Gesundheit und Zufriedenheit der Mitarbeitenden leistet.

Welche Fragen kann sich ein:e Personalverantwortliche:r stellen, um den EAP-Bedarf im Unternehmen zu ermitteln?
Das sind Fragen wie: Will ich das EAP allen Mitarbeitenden anbieten oder als Pilotprojekt an einem Standort? Benötige ich zusätzlich Seminare oder Sprechstunden? Soll es persönlich, nur telefonisch oder digital sein? Möchte ich eine Pauschale oder auf Stundenbasis abrechnen?

Ist durch Corona ein besonderer oder neuer Bedarf entstanden?
Ja, weil viele soziale Angebote der Unternehmen die Mitarbeiter:innen im Homeoffice nicht mehr erreichen – vom Zugang zur Kantine bis zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement. Gerade dann bietet EAP einen wirklich wichtigen Beitrag, denn es kann ja auch telefonisch oder online genutzt werden.

Früher oder später muss der:die Personaler:in ein Budget für EAP beantragen. Wie kommt man zu einer zuverlässigen Zahl?
Es gibt sehr viele unterschiedliche EAP-Modelle und Anbieter. Als grobe Faustregel kann man mit Kosten von zwei bis fünf Euro je Mitarbeiter:in je Monat rechnen.

Welche Informationen sollten in der Ausschreibung gefordert werden?
Das könnten Fragen sein wie: Gibt es einen 24/7-Bereitschaftsdienst mit ausgebildeten, erfahrenen Berater:innen? Hat der Anbieter „Industrieerfahrung“? Sind die Berater:innen gut in die Unternehmen eingebunden, zum Beispiel mit Sprechstunden vor Ort, Vorträgen und so weiter? Haben alle Berater:innen eine Weiterbildung in Krisenintervention? Gibt es auch eine persönliche Beratung in der Nähe aller Unternehmensstandorte und auch eine kostenlose Beratung für Angehörige?

Wie lange dauert es im Schnitt, bis sich ein EAP-Angebot im Unternehmen etabliert hat?
Das ist unterschiedlich, je nach Intensität der Implementierung, aber zumeist circa drei bis sechs Monate. Unter etabliert verstehe ich, jede:r Mitarbeiter:in und ihre Angehörige wissen, dass es das gibt und die Telefonnummer kennt. Dafür ist es notwendig, jeden mit einer Broschüre zu versorgen, Plakate aufzuhängen und sichtbar zu sein. Die Berater:innen müssen meiner Erfahrung nach im Unternehmen gesehen werden, so dass das Gefühl entsteht, die gehören dazu.

Was braucht es, damit das Angebot langfristig angenommen wird?
Es braucht die Präsenz der Berater:innen und immer wieder die Erinnerung, dass es das gibt. Und es braucht zufriedene Mitarbeiter, die das weitererzählen. Die sprechen untereinander und dann sagt einer, „Die haben mir geholfen, ruf‘ da doch mal an“.

Weitere Informationen zum Thema psychische Gesundheit am Arbeitsplatz finden Sie hier.

Lesen Sie auch: Employee Assistance Programme: Was ist das?

© privat

Zur Gesprächspartnerin:

Astrid Travi ist geschäftsführende Gesellschafterin derstg – Die Mitarbeiter Berater GmbH. Sie verfügt über fast 30 Jahre Beratungserfahrung – im Konzern und selbstständig – mit dem Schwerpunkt der Begleitung berufliche Veränderungsprozesse und Krisenberatung. Sie hat diese Themen auch in leitender Funktion für Siemens und andere Unternehmen verantwortet.

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