Der Quotenmitarbeiter: erzwungene Diversität

Recruiting

Diversität steht für Chancengleichheit – und die gilt für alle. Wer jedoch nur eine Personengruppe fördert, benachteiligt unter Umständen andere.

Jeder spricht über Diversität. Schließlich sollen Belegschaften in Zeiten der Globalisierung möglichst vielfältig sein. Doch tatsächlich versteht jeder etwas anderes unter dem Begriff. Die einen meinen damit die Förderung von Frauen, andere denken an altersgemischte Teams. Wieder andere verstehen unter Diversität, dass mehr Mitarbeiter mit Migrationshintergrund eingestellt oder Menschen mit einer Behinderung gefördert werden.

Einigkeit herrscht hingegen bei dem Grundgedanken der Chancengleichheit. Wer denkt bei Diversität schon an Benachteiligung? Schließlich soll das genaue Gegenteil der Fall sein. Doch gerade hinsichtlich der gewünschten Unterschiedlichkeit spielen oftmals typische Charakteristika wie Alter, Geschlecht oder Kultur eine Rolle. Das sind allerdings jene Faktoren, die im Sinne der Gleichbehandlung bei Stellenbesetzungen oder Beförderungen eigentlich keine Rolle spielen dürfen. Wie also die einen fördern, ohne andere zu benachteiligen?

Stichwort: positive Diskriminierung

Der Grat zwischen Förderung und Benachteiligung kann ein schmaler sein – das zeigt ein Blick in die USA. Dort gelten Quotensysteme bei Auswahlverfahren als heikel. Nicht selten landen Fälle vor Gericht, in denen sich jemand aufgrund der Bevorteilung einer bestimmten Personengruppe zurückgesetzt fühlt. „Eine Frauenquote, wie wir sie aus Deutschland kennen, wäre in den Vereinigen Staaten unzulässig“, sagt Jörg Rehder, Partner bei Schiedermair Rechtsanwälte. Als zugelassener Rechtsanwalt in den USA, England, Wales und Deutschland berät er vor allem bei grenzüberschreitenden Sachverhalten. Hintergrund der Rechtslage ist die sogenannte Reverse Discrimination – also eine umgekehrte oder positive Diskriminierung. Zurück gehe sie laut Rehder auf ein Urteil in Amerika Ende der 1970er Jahre. Ein weißer Mann verklagte eine Universität, weil sie bei der Studienplatzvergabe eine ethnische Minderheit bevorzugt behandelte. Er gewann den Prozess.

Auch wenn es in den USA keine Frauenquote gibt, beobachtet Jurist Rehder, dass es dennoch Bemühungen gibt, wenngleich diese weniger durch den Staat initiiert seien: „Vielmehr engagieren sich die Unternehmen freiwillig für Diversität“, sagt er. So streben viele US-Rechtsanwaltskanzleien an, dass mindestens 30 Prozent ihrer Führungspositionen von Frauen besetzt sind. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine feste Regel, sondern nur um ein verbalisiertes Ziel. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mann vor einem amerikanischen Gericht klagt, weil er sich aufgrund dessen benachteiligt fühlt, hält er für gering. Schließlich setze sich das Unternehmen freiwillig für Vielfalt ein.

In Deutschland ist die Lage aufgrund des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) eine andere. Hier kann eine unterschiedliche Behandlung sogar zulässig sein, wenn geeignete und angemessene Maßnahmen bestehende Nachteile verhindern oder ausgleichen. Dazu zählen unter anderem Quotensysteme für Personengruppen, die unterrepräsentiert sind. „Hierzulande gegen eine Frauenquote anzukämpfen macht keinen Sinn“, sagt Rehder. Der Gesetzgeber habe sich dabei schließlich etwas gedacht – die Quote werde als Instrument des Ausgleichs verstanden.

Chancengleichheit für alle

Quotenregelungen bei Auswahlverfahren – wie es sie im öffentlichen Dienst gibt – sind keine Seltenheit. Meistens handelt es sich dabei um eine Geschlechterquote für Führungspositionen. Doch jeder festgelegten Zahl geht eines vorweg: die Eignung der jeweiligen Person. „Grundsätzlich steht immer die Qualifikation im Vordergrund“, sagt Katrin Hansen, Vizepräsidentin der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen. „Das Leistungsniveau muss gesichert sein. Erst im zweiten Schritt schauen wir auf die Quote.“

Die Wissenschaftlerin weist aber darauf hin, dass Quoten nur vordergründig funktionieren. Bei einer erzwungenen Zahl steige der Anteil auch wirklich nur bis zu dem vorgeschriebenen Wert an. Das sehe als Kennziffer zwar gut aus, aber bewege unter Umständen eher wenig. Bei der Förderung von Frauen geht es auch darum, dass sie nicht nur eine Führungsposition innehaben, sondern in ihrer Funktion etwas bewegen können. Dazu benötigen sie den gleichen Zugang zu Ressourcen wie ihre männlichen Kollegen.

Diversität ist ohnehin viel mehr als nur Quoten. Es geht darum, unterschiedlichen Zielgruppen gerecht zu werden und alle gleichermaßen zu fördern. „Diversität darf kein Nullsummenspiel sein: Wenn dem einen etwas weggenommen wird, um etwas zu verbessern, wird es schwierig“, sagt Hansen.

Angebote nur für Bedürftige zu schaffen, bringe die Gefahr mit sich, ein Stereotyp zu zementieren. Die Systeme sollen sich für alle Beteiligten verbessern. So gelten bei der Westfälischen Hochschule beispielsweise Angebote zur Work-Life-Balance für Männer und Frauen gleichermaßen – wohl wissend, dass bestimmte Personengruppen diese stärker in Anspruch nehmen. Bestimmte Angebote nur für Frauen anzubieten, hält Hansen hingegen für diskriminierend. „Wir gehen weg von der defizitären Denkweise und bauen stattdessen Strategien auf, die jeder gebrauchen kann“, sagt sie. Bei einem Mentorenprogramm für Frauen solle es nicht nur Mentoren für Frauen geben, sondern das Programm müsse allen offenstehen – und auch über weibliche Mentoren verfügen.

Diversität als Selbstverständnis

Für das Beratungsunternehmen Accenture gehören zum Begriff Diversität neben Frauenförderung auch Aspekte wie der kulturelle Hintergrund, die sexuelle Orientierung, das Alter, eventuelle körperliche oder geistige Einschränkungen und sogar die bisherige Unternehmenskultur, aus der neue Angestellte kommen: So macht es einen Unterschied, ob ein Mitarbeiter aus einem Großkonzern oder einem Start-up kommt.

Der Diversitätsgrundsatz sei fest in der Unternehmenskultur verankert. „Diversität fördert Innovation“, sagt Kerstin Broßat, Leiterin Human Capital & Diversity bei Accenture. „Unsere Mission besteht darin, komplexe Probleme zu lösen. Vielfalt hat für uns eine hohe und breite Bedeutung.“ Bei dem international tätigen Arbeitgeber ergibt sich aufgrund der Unternehmensgröße und des Geschäftsfeldes automatisch eine gewisse natürliche Diversität. Das Thema ist für Accenture seit Jahrzehnten von Bedeutung. Dennoch beobachtet Broßat einen Wandel. „In früheren Zeiten haben wir unsere Diversität als selbstverständlich betrachtet, ohne uns dessen großartig bewusst gewesen zu sein oder sie aktiv weiter voranzutreiben“, sagt sie. Heute hingegen komme ein Team, das nur aus Männern bestehe, beim Kunden nicht mehr gut an. Um komplexe Aufgaben zu lösen, braucht es unterschiedliche Sichtweisen. Der Blickwinkel von nur einer homogenen Personengruppe reiche nicht mehr aus. Broßat stellt auch auf Bewerberseite ein Umdenken fest. Besonders für nachrückende Generationen spielt es bei der Wahl des Arbeitgebers eine Rolle, in gemischten Teams zu arbeiten.

Teams nach Charakteristika wie Geschlecht oder kulturellem Hintergrund zusammenzustellen, um alle Dimensionen der Vielfalt abzudecken, kommt für Accenture nicht infrage. Gemischte Teams ergeben sich vielmehr automatisch aufgrund des vom Unternehmen gelebten Diversitätsgrundsatzes. „Wir fördern niemanden, weil er zu einer bestimmten Gruppe gehört“, sagt Broßat. Am Ende stehe immer ein Beratungsauftrag, der gewisse Fähigkeiten und ein bestimmtes Wissen erfordere, über die ein Team verfügen müsse.

Darüber hinaus komme es bei der Mitarbeiterauswahl auch auf den Cultural Fit an. Damit es keine Diskriminierung gibt, durchlaufen Führungskräfte ein Trainingsprogramm – Recruiting- und Personalverantwortliche ebenso. Darin geht es darum, unbewusste Vorannahmen zu reflektieren und zu hinterfragen, warum jemand wie sein Team zusammenstellt. Accenture hat sich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2025 die Hälfte seiner Stellen weltweit mit Frauen zu besetzen Um das Vorhaben zu erreichen, gibt es klare Einstellungsvorgaben. Aber Broßat hebt hervor, dass grundsätzlich das Gesamtverständnis von Diversität zählt.

Gleichbehandlung bedeutet mehr Diversität

Bei gleicher Qualifikation schaut Personalchef Oliver Leick vom Technologiekonzern 3M erst im zweiten Schritt auf das Thema Diversität. Um Teams divers zusammenzustellen, muss ein Unternehmen die Mitarbeiter so qualifizieren, dass im Vorfeld einer Stellenbesetzung möglichst gleiche Voraussetzungen in der Belegschaft existieren, sagt er. Danach könne je nach Bedarf eine Auswahl vor dem Hintergrund der Diversität – sprich ein Mix aus Mann/Frau, alt/jung und unterschiedlicher Nationalität – erfolgen.

Damit es bei Stellenbesetzungen oder Beförderungen nicht zu Benachteiligungen kommt, bietet das Unternehmen verschiedene Aktivitäten für unterschiedliche Mitarbeitergruppen an. Dazu zählen spezielle Führungskräftetrainings für Frauen oder Veranstaltungen zum Thema Diversität und Inklusion. Auf diese Weise versucht das Unternehmen, seine Mitarbeiter für das Thema zu sensibilisieren und sie zum Handeln zu ermutigen. „Diversität und Inklusion ist bei 3M seit jeher ein wichtiges Thema“, sagt Personalchef Leick. Die zunehmende Bedeutung begründet er einerseits mit dem Aufeinandertreffen mehrerer Generationen mit zum Teil unterschiedlichen Ansichten und Ansprüchen. Andererseits seien steigende Anforderungen der Arbeitswelt verantwortlich für ein gewachsenes Interesse an Diversität. Ebenso bringe die zunehmende Globalisierung der Wirtschaft einen stärkeren Mix der Kulturen mit sich.

Aber braucht es überhaupt eine Diversitätsstrategie, wenn es einen gesetzlichen Gleichbehandlungsgrundsatz gibt? Bei konsequenter Umsetzung des AGG dürfte sich die Belegschaft zwangsläufig divers gestalten. Schließlich stehen die Qualifikationen im Mittelpunkt, frei von Vorannahmen und Benachteiligungen. Zumindest in der Theorie müsste das Wirkung zeigen, sagt Rechtsanwalt Rehder. Allerdings gebe es das Gesetz aus einem bestimmten Grund: Diskriminierung findet statt. Dagegen möchte der Gesetzgeber vorgehen. Nach Auffassung von Rehder hat das Gesetz jedoch nicht die Auswirkungen gezeigt, die viele anfangs befürchtet oder erhofft haben. Für Personalchef Leick führt die Anwendung von gesetzlichen Gleichbehandlungsgrundsätzen zu einer Zunahme von Diversität. Aber allein die Beschränkung darauf werde wahrscheinlich nicht zu einer schnellen und zielgerichteten Diversität führen.

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Sven Lechtleitner, Foto: Privat

Sven Lechtleitner

Journalist
Sven Lechtleitner ist freier Wirtschaftsjournalist. Er hat ein Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg sowie ein Fernstudium Journalismus an der Freien Journalistenschule in Berlin absolviert. Von November 2020 bis Juli 2022 war er Chefredakteur des Magazins Human Resources Manager.

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