Der Glaubenskrieg um die künstliche Intelligenz

Future of Work

Der Hype um künstliche Intelligenz spaltet die Gesellschaft.Während Befürworter wirtschaftliche Vorteile ins Feld führen, sehen Gegner die Menschheit bedroht.

Es ist eine befremdlich wirkende Welt: Jungen Menschen wird ein neurales Geflecht eingepflanzt. Das heißt „Neural Lace“, wuchert im Gehirn aus und stellt mittels WLAN eine Verbindung zu künstlichen Intelligenzen (KI) her. Diese sogenannten Minds regieren die Welt. Keineswegs auf bösartige Weise, tatsächlich beschützen sie vielmehr den Menschen. Willkommen in der TV-Serie „The Culture“, die zwar mit der Wirklichkeit (noch) nichts gemein hat, und doch nähert sich die Menschheit, so scheint es, langsam dieser Welt an. Intelligente Systeme haben sich in unserem Alltag eingenistet – mehr als sich so manch einer bewusst macht.

Der Autopilot im Verkehrsflugzeug, die Spracherkennung im Smartphone, die Auswertung von Blutbildern in Laboren, die Vorauswahl bei Bewerbungen: Einfache Vorformen dieser intelligenten Wesen sind bereits in der Realität angekommen.

Roboter und KI-Systeme vollbringen Leistungen, die viele bereits als intelligent und kreativ einstufen. Aber was ist eigentlich künstliche Intelligenz? Auf welchem Forschungsstand sind wir? Wie gehen Deutschlands Unternehmen mit KI um? Wo liegen Chancen, wo Risiken? Und werden wir demnächst von Robotern abgelöst?

Tiefes Lernen

Christian Bauckhage hat Antworten auf jene Fragen, die derzeit die gesamte Gesellschaft umzutreiben scheinen. Der Professor für Informatik gilt als eine der Koryphäen auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz in Deutschland, er arbeitet beim Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS. Das Grundwissen zu KI gibt Bauckhage, der nunmehr seit zwanzig Jahren zur Materie forscht, so routiniert wieder wie ein reibungslos funktionierender Roboter.

So kann er behände KI von sogenannten nachgeahmten Intelligenzen abgrenzen. Letztere fanden sich schon vor dreißig Jahren in Computerspielenwieder, womit durch meist einfache Algorithmen ein intelligentes Verfahren simuliert werden soll. „Allgemein bezeichnet KI den Versuch, eine menschenähnliche Intelligenz nachzubilden. Anfangs ging es darum, einen Computer zu bauen oder ihn so zu programmieren, dass er eigenständig Probleme bearbeiten kann. Mittlerweile sind wir beim Deep Learning angekommen“, sagt Bauckhage.

Ein Beispiel aus der Autoindustrie: Der US-Chip-Hersteller Nvidia speiste einem Modul Millionen Bilder ein, die Hindernisse eines Parcours zeigten. Anschließend wurde dem System durch Simulationen und in realen Fahrmanövern antrainiert, vor den Hindernissen abzubremsen. Das Auto konnte, ohne einen menschlichen Fahrer, anschließend in ähnlichen Situationen autonom anhalten.

Der Fortschritt: Dem Computer gelingen diese Verknüpfungen selbstständig, ohne einen von Menschen geschaffenen Algorithmus. Dabei werden neuronale Netze geschaffen, die wie ein menschliches Gehirn aufgebaut sind und Assoziationen zwischen der Umgebung des Autos und den daraus resultierenden Fahraufgaben herstellen.

Schwache versus starke KI

So revolutionär das Praxisbeispiel klingt, es gehört zur sogenannten schwachen Intelligenz. Die schwache KI beschäftigt sich mit der Lösung von Anwendungsproblemen, hierzu zählen Spracherkennung oder Korrekturvorschläge bei gestellten Suchanfragen. Im Gegensatz dazu wird starke KI als Schaffung einer Intelligenz definiert, die der des Menschen gleicht oder diese sogar übertrifft. Starke KI muss deshalb dreierlei vereinen: das logische Denken, das Treffen von Entscheidungen bei Unsicherheit und das Planen.

Forscher wie Bauckhage möchten keine Prognose abgeben, wann die starke KI technisch möglich sein wird. Zur Veranschaulichung der Veränderungsgeschwindigkeit fasst er lieber die Vergangenheit zusammen: „Die Forschung zu künstlicher Intelligenz gibt es jetzt gut 60 Jahre. In den vergangenen drei Jahren hat die Forschung Quantensprünge gemacht. 17 Jahre zuvor hat das keinen interessiert.“

In Deutschland seien mittlerweile, so Bauckhage, viele Vorstände von Industrieunternehmen für KI sensibilisiert. Eine langsam zunehmende Anwendung in der Praxis stellt er in der Autoindustrie, der Finanzindustrie und den Chemieunternehmen fest. Dort gehe es vor allem um Prozessoptimierung, etwa bei Logistikketten oder der Planung von Fertigungsstraßen.

Einsatz von KI in Unternehmen

Eine Umfrage unter Großkonzernen ergibt allerdings ein differenzierteres Bild. Der Chemiekonzern BASF betont in seiner Reaktion das Feld der Wissenslösungen. Konkret will das Dax-Unternehmen mithilfe von KI „den Inhalt von Dokumenten herausfiltern und so einen einfacheren, schnelleren und zuverlässigeren Zugang zu relevantem Wissen erreichen“.

Recht verhalten sind die Reaktionen der Dax-Riesen Bayer und Deutsche Telekom. Der Pharmakonzern „prüft derzeit den Einsatz, eine praktische Anwendung gibt es noch nicht“. Die technikaffine Deutsche Telekom könne bei der Frage nach dem Einsatz von künstlicher Intelligenz „nicht weiterhelfen“. Der Versicherungskonzern Axa wiederum kann sich die „Automatisierung einzelner Schritte in der Schadenbearbeitung durch intelligente Bilderkennung vorstellen“. Zudem sieht der Konzern „große Potenziale in der Risikoeinschätzung, indem historische Schadendaten mit intelligenten, selbst lernenden Algorithmen analysiert werden“.

„Prüfen“, „Wollen“, „Vorstellen“. Die Deutsche Bahn ist da schon einen Schritt weiter. Das Unternehmen setzt KI nicht nur in sprachgesteuerten Services ein, sondern auch in der vorausschauenden Instandhaltung im Eisenbahnbetrieb. „Immer mehr Weichen, Fahrstühle und Rolltreppen in Bahnhöfen, Lokomotiven und Güterwaggons verfügen über intelligente Sensorik. Zunehmend können so Fehlentwicklungen frühzeitig erkannt und behoben werden, bevor es zu Störungen im Betrieb kommt“, teilt das Unternehmen mit.

Wenn man sich die KI-Forschung und -Anwendung in deutschen Unternehmen als Pyramide vorstellt, dann steht SAP an der Spitze. Kein Wunder eigentlich, ist SAP doch der einzige große IT-Konzern in Deutschland – und zugleich international geachtet. Cawa Younosi, Personalleiter SAP Deutschland, sagt, der Einsatz künstlicher Intelligenz sei vor allem in der Weiterbildung und der Vorsortierung von Lebensläufen sinnvoll.

„Derzeit bekommt man als Mitarbeiter funktionsbezogene Trainings angebote, also Schulungen oder Trainings, die spezifisch mit der Rolle zu tun haben“, sagt Younosi. „In Zukunft kann KI auf das Profil des Mitarbeiters zugreifen, sodass dieser sehr persönlich auf ihn zugeschnittene Trainingsangebote erhält, also über die rein funktionsbezogenen Aspekte hinaus.“

Begeisterung …

SAP ist in der Automatisierung der Personalarbeit heute schon weit vorn – im Gegensatz zu vielen anderen deutschen Unternehmen. „Die Personalabteilungen in Deutschland sind zurückhaltend, was die technologische Unterstützung angeht – und das ist noch positiv formuliert“, sagt Christoph Igel, der beim Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) die Sparte Bildung leitet.

SAP-Mann Younosi argumentiert für die KI mit der gesteigerten Effizienz und der Skalierbarkeit von Lösungen: „Wie sehr Technologien Prozesse effizienter machen, zeigen die Jahresendgespräche inklusive Gehalts- und Entwicklungsgesprächen. Früher dauerte der manuell unterstützte Prozess durchaus drei Monate. Mittlerweile sind wir bei drei Wochen, dank des Einsatzes eines Programms.“

Ist KI also ein Fortschritt der Arbeitsgesellschaft? Überwiegen Chancen die Risiken? Zwischen Befürwortern und Gegnern der KI tobt ein Kampf um die richtigen Argumente und die Deutungshoheit in der Öffentlichkeit. Zwar gab es kritische Stimmen schon in den letzten Jahrzehnten, doch gerade parallel zu den Quantensprüngen der vergangenen drei Jahre schwillt die Lautstärke der Kritik von Top-Vertretern vieler Fachgebiete an.

… und Kritik

Der Physiker Stephen Hawking sieht in künstlicher Intelligenz nicht weniger als eine Bedrohung für die Menschheit und möglicherweise sogar deren Ende. Denn mittlerweile seien Systeme fähig, selbst zu lernen, und zwar so wie wir Menschen. Hawking ist keineswegs generell Technologiefortschritten abgeneigt. Anfang der 60er-Jahre des vorherigen Jahrtausends an einer Erkrankung des Nervensystems erkrankt, kann er nur noch per Computer über die Bewegung seiner Wangenmuskeln und Augen kommunizieren.

Noch drastischer zeichnet KI-Experte Eliezer Yudkowsky vom Machine Intelligence Research Institute in Berkeley die Zukunft: „Wer sich marschierende menschenähnliche Roboter mit roten Augen vorstellt, versteht die Größe des Problems nicht. Man muss sich kleinste, unsichtbare, aus Diamanten hergestellte synthetische Bakterien ausmalen, die sich in der Blutbahn aller Menschen befinden. Und eines Tages simultan ein Mikrogramm Botulinumtoxin freisetzen. Dann fallen alle tot um.“

Nicht minder wortgewaltig gibt sich auch der französische Philosoph Eric Sardin. Er prognostiziert, dass KI Schritt für Schritt die menschliche Entscheidungsfindung übernehmen wird. „Der Mensch gilt nicht mehr als das einzige mit Urteilsfähigkeit begabte Wesen, sondern wird durch eine neue, als überlegen angesehene Wahrheitsinstanz verdrängt“, so Sardin.

Er hebt die Kritik auf eine Metaebene: „Mit ihrer exponentiell wachsenden Geschwindigkeit zerstört der Geist von KI die Grundprinzipien des Humanismus: das Prinzip der Verantwortung und das Recht der Gesellschaften, gemeinsam über ihr Geschick zu bestimmen.“

Auch in der internationalen Unternehmenswelt finden sich einige KI-Gegner. Manch einer gibt dabei allerdings ein zwiespältiges Bild ab. Elon Musk, Eigentümer des aufstrebenden Elektroautoherstellers Tesla, gründete 2015 gemeinsam mit dem deutsch-amerikanischen Investor Peter Thiel, dem Linkedin-Mitgründer Reid Hoffman und anderen die gemeinnützige Organisation OpenAI. Sie soll die Entwicklung von sicherer künstlicher Intelligenz gewährleisten, eine Art Wachhund der Entwicklung.

Als Unternehmer allerdings hofft Musk von KI zu profitieren. Erst Ende März übernahm er den Chefposten beim Start-up Neuralink. Die Firma will das menschliche Gehirn invasiv mit Computern verbinden und dazu Elektroden entwickeln. Zunächst soll die Technik bei Menschen mit schweren Hirnschäden eingesetzt werden. Ziel: Die Patienten sollen ihr Gedächtnis möglichst effektiv wieder nutzen können.

Zukünftig hofft Musk auf eine breitere Zielgruppe: Schon in acht bis zehn Jahren soll Neuralinks Verbindung von Gehirnen und Computern auch völlig gesunden Menschen zur Verfügung stehen.

HR im Wachstum – trotz KI

Befürworter der KI argumentieren zumeist mit Wettbewerbsfähigkeit und betonen, dass KI nur eine unterstützende Technologie sein sollte. Fraunhofer-Forscher Bauckhage sagt: „Firmen, die sich jetzt nicht mit KI anfangen zu beschäftigen, wird es in zehn Jahren nicht mehr geben.“ Er begründet das mit den immensen Kosteneinsparungen und verweist auf eine Studie des indischen IT-Großkonzerns Infosys: Demnach erwarten bis zum Jahr 2020
Unternehmen, die KI-Technologien einsetzen oder deren Implementierung planen, ein durchschnittliches Umsatzwachstum von 39 Prozent bei 37 Prozent geringeren Kosten. „Es geht deshalb darum, kleine Schritte zu machen, warm zu werden mit der Technik, Erfahrungen zu sammeln, Vor- und Nachteile abzuwägen“, so Bauckhage.

Ob Forscher wie Bauckhage oder SAP-Manager Younosi: Viele Experten nehmen in der Gesellschaft eine gewisse Reserviertheit gegenüber künstlicher Intelligenz wahr, gerade was mögliche Folgen für die Arbeitswelt betrifft. Younosi betont: „Auch zukünftig werden potenzielle Bewerber von Mitarbeitern aus dem HR-Bereich eingestellt – und nicht von KI-Technologie. Die Wichtigkeit von persönlichen Bewerbungsgesprächen ist unbestritten.“ Er verweist darauf, dass trotz des Einsatzes von Technologien die Zahl der HR-Mitarbeiter in den letzten zehn Jahren stetig gestiegen ist.

Trotzdem wäre es naiv anzunehmen, dass KI völlig risikofrei für die deutsche Arbeitswelt ist. Bauckhage sagt: „Wer als Mitarbeiter nicht mit den Technologien umgehen kann, der muss um seinen Arbeitsplatz fürchten.“ Christoph Igel vom Deutschen Forschungszentrum für künstliche Intelligenz ergänzt: „Es wäre vermessen, sich dieser Entwicklung wie Don Quijote und sein Gefährte Sancho Panza den Windmühlen entgegenzustellen. Er appelliert zugleich an den aufgeklärten Bürger: „Wenn der Mensch aufhört, sich kritisch-reflexiv mit den Entwicklungen auseinanderzusetzen, und diese nicht begleitet, hinterfragt, bedenkt und mündig aufgeklärt, über deren Einsatz und Nutzen entscheidet – dann ist das das Ende der Menschheit. Aber nicht wegen KI, sondern weil der Mensch aufhört, Mensch zu sein.“

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Martin Scheele, Foto: Privat

Martin Scheele

Martin Scheele ist freier Journalist und schreibt regelmäßig für den Human Resources Manager.

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