Das gefährliche Spiel mit Arbeiten 4.0

Future of Work

Sich auf die Umwälzungen in der Arbeitswelt einzustellen ist richtig – ohne Frage. Doch was Unternehmen mitunter in Sachen New Work und Arbeit 4.0 auf den Weg bringen, ist oft nicht mehr als Schönheitspflege und geht am eigentlichen Schlamassel weit vorbei. Ein Denkanstoß.

Bewegungen für DIE neue Arbeitswelt schießen aus dem Boden wie Pilze. Was da so unter „Arbeiten 4.0“ oder „New Work“ gleichsam blasenhaft umherschwirrt, ist eine Reaktion der Unternehmen auf technischen Fortschritt, globale Vernetzung und vielfältige gesellschaftliche Veränderungen – die machen die Arbeitswelt nämlich komplexer und Arbeitgeber wie -nehmer stehen neuen Herausforderungen gegenüber, denen sie irgendwie Rechnung tragen müssen. Im Kern haben diese Maßnahmen also schon ihre Daseinsberechtigung.

Aber Vorsicht, bevor Sie diese Bewegungen als Allheilmittel gegen die Komplexität der Wirtschaftswelt anhimmeln. Denn leider stecken sie in einem Dilemma, das die ganzen Anstrengungen zunichte macht – und noch schlimmer: in Teilen sogar regelrecht schädlich ist für die Unternehmen.

Schönheitspflege für die Arbeit

Und warum ist das so? Weil die neuen Maßnahmen – egal wie Sie sie nun nennen –einem Denkfehler unterliegen bzw. schlichtweg falsch verstanden werden: als Schönheitspflege, damit die Arbeitsbedingungen wieder angenehmer werden. Darum gibt es Home Office statt festen Arbeitsplatz, Spielekonsole und Kühlschrank mit Freigetränken statt sterilen Pausenraum, interne Chats statt E-Mail-Ketten und den nahbaren Chef, der sich duzen lässt, statt der Führungskraft mit erhobenem Finger. So schön das klingen mag: Wenn warme Getränke nicht das Problem sind, ist der Kühlschrank auch nicht die Lösung. Die allermeisten der Maßnahmen doktern gewaltig am eigentlichen Schlamassel vorbei: Anstatt Kundenprobleme ins Unternehmen zu lassen und die Arbeit flexibler zu gestalten, ersetzen die modernen Ansätze die alten „internen Referenzen“ lediglich durch neue.

Jahrzehntelang haben Unternehmen schon „externe Referenzen“ – also von außen an das Unternehmen herangetragene Probleme – in „interne Referenzen“ übersetzt. Und das auch erfolgreich. Ganz im Sinne von F. W. Taylor wurde beispielsweise die Marktanforderung „schnelle Lieferung“ in „wir halten uns diszipliniert an einen detaillierten Projektplan und die darin fixierten Meilensteine“ umgewandelt, weil das Effizienz versprach. So wurden durch die Übersetzung aus Kundenproblemen Regeln, Prozesse, Audits, Handbücher etc. – und in einem wenig dynamischen Markt hat das auch bestens funktioniert.

Nur ist die Wirtschaftswelt heute voller Überraschungen, eben komplexer. Sie hat ganz andere Anforderungen an die Arbeitswelt als ein diszipliniertes Einhalten gewünschter Verhaltensweisen und Prozesse. Und deshalb wankt das tayloristische System immer mehr, die Effizienz und das Innovationsvermögen der Unternehmen sinkt, sie fühlen sich gezwungen zu handeln – und begehen den großen Denkfehler, dass mit mehr artikulierter Eigenverantwortung und einem mitarbeiterfreundlicheren Arbeitsumfeld alles gelöst sei.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Das soll nicht bedeuten, dass Arbeiten 4.0 überflüssig ist. Es kann sogar sehr viel bringen, wenn es richtig verstanden wird. Wie Sie das sicherstellen? Indem Sie folgende drei Fehler, die Unternehmen bei der Einführung solcher Maßnahmen fast immer begehen, vermeiden.

1. Der Ansatz adressiert das Verhalten von Menschen statt Strukturelemente

Gleich schon mal vorab: Sie können kein bestimmtes Verhalten von Mitarbeitern fordern. Nun gut, das können Sie schon, aber dann ist es halt kontraproduktiv. Mitarbeiter verhalten sich im gegebenen Unternehmenskontext nämlich immer intelligent und vernünftig. Oder anders: Sie handeln so, wie es das System von ihnen verlangt. Und wenn das Verhalten blöd ist, bedeutet das lediglich, dass der gewählte Kontext – ergo: die Unternehmensorganisation – blöd ist. Sollen sich die Mitarbeiter also plötzlich anders verhalten, sind sie gezwungen, gegen das System zu handeln. Und das fördert Business-Theater, das die Mitarbeiter von ihrer eigentlichen Arbeit abhält. Sehen Sie es so: Sie würden von einem Fußballer ja auch nicht fordern, dass er sich fortan grazil wie eine Ballerina über das Spielfeld bewegen soll. Das würde ihn nämlich vom Toreschießen abhalten.

Wenn eine beabsichtigte Maßnahme also direkt und unmittelbar das Verhalten von Personen in Angriff nimmt, dann vergessen Sie sie lieber gleich wieder. Sie ist bestenfalls wirkungslos, höchst wahrscheinlich aber sogar destruktiv. Richtet sich die Maßnahme hingegen unmittelbar an Strukturelemente wie Hierarchien, Prozessvorgaben, Infrastrukturen, Entgeltsysteme oder Teamzusammensetzungen, dann könnte sie in die richtige Richtung gehen.

2. Durch den Ansatz entsteht nicht mehr Wertschöpfung

Es gibt Maßnahmen, die lösen Hindernisse auf, die der Wertschöpfung im Weg stehen, und dann gibt es solche, die tun das –nun ja – nicht. Ein Tischkicker im Pausenraum sorgt allenfalls für gute Stimmung, mehr Kundenprobleme werden dadurch aber nicht gelöst. Nun mag gute Stimmung ja nett sein, aber dass die Stimmung sich kausal auf die Leistungs- oder Innovationsfähigkeit der Mitarbeiter auswirkt, ist lediglich ein häufig wiederholter Mythos.

Alle Maßnahmen, die lediglich Arbeitsplätze aufhübschen oder als kleines Goodie die Mitarbeiter besänftigen sollen, können Sie also gerne umsetzen –als Sozialhygiene sozusagen. Erwarten Sie aber nicht, dass sich dadurch die Wertschöpfung verbessert. Denn wenn die Arbeit im Unternehmen nicht sinnvoll verrichtet werden kann – weil die Strukturen im Unternehmen mehr Theater erzeugen als wertschöpfende Arbeit –, dann sind solche Maßnahmen vielleicht ein Ausgleich zum belastenden Theaterspiel und den schlechten Arbeitsverhältnissen, mehr aber auch nicht.

Deshalb: Nur wenn eine Maßnahme strukturelle oder organisatorische Hürden beseitigt, die die Mitarbeiter von der wertschöpfenden Arbeit abhalten, kann sie sinnvoll sein.

3. Die Grundüberzeugung des Ansatzes widerspricht den Überzeugungen anderer Ansätze in der Organisation

Was ich damit meine? Nun, nehmen Sie folgendes Beispiel: In einem Unternehmen werden Aufgaben immer von oben nach unten delegiert, weil die Überzeugung herrscht, dass Mitarbeiter nur per Anweisung richtig arbeiten und nicht selbstständig Verantwortung übernehmen. Dann baut das Unternehmen plötzlich auf seine Teams: Die Teammitglieder sollen sich selbst organisieren und jeder soll die Arbeit übernehmen, zu der er am meisten beitragen kann. Sehr modern.

Das machen die Mitarbeiter nun auch ganz brav, bis von der Unternehmensleitung dann ein Meeting einberufen wird, in dem jeder ganz klar aufführen soll, was er wann zu welchem Projekt beigetragen hat, wie viel Zeit er dafür gebraucht hat und was das Ergebnis seiner Mühen war. Nach dem Motto: „Ist ja schön, dass Sie mal ein bisschen allein gelaufen sind, aber jetzt nehmen wir Sie wieder an die Hand.“ Weil am Ende des Tages eben doch alle im alten Kontext gefangen sind und das Unternehmen nicht an die Eigenverantwortung seiner Mitarbeiter glaubt. Also ich würde mir reichlich verarscht vorkommen. Welch bodenlose Verschwendung von Arbeitszeit – und welch ein Theater!

Arbeiten 4.0: Ja – aber richtig!

Der Unterschied zwischen wirkungsvollen und wirkungslosen oder gar gefährlichen Maßnahmen – heißen sie nun „New Work“ oder „Arbeiten 4.0“ – liegt letztlich also darin: wie viel Theater bei der Umsetzung gespielt und wie viel Schönheitskorrektur betrieben wird, anstatt wertschöpfend zu arbeiten. Nur wenn Maßnahmen sich auf externe Referenzen beziehen, den Weg frei machen für wertschöpfendere Arbeit und dann auch noch zu den Grundüberzeugungen im Unternehmen passen – dann lohnt es sich, diese umzusetzen. Und dann machen sie auch Spaß.

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Lars Vollmer

Redner und Autor

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