Veränderungen lösen bei Menschen Ängste aus. Zweckrationale Botschaften nützen nichts, nur Wertschätzung hilft, sagt Frank Schabel von Hays.
Manchmal hilft ein Blick zurück in die Geschichte, um die heutige Dimension zu erfassen. Im 19. Jahrhundert beschrieb Karl Marx die anlaufende Industrialisierung als einen krachenden und stinkenden Prozess, der den feudalen Strukturen den Garaus mache und eine Zeitenwende einläute. In unserer Gegenwart – dies lesen wir allenthalben – steht ähnliches an: Die Digitalisierung mache alles platt, was nach analog klingt, und kreiere eine schöne neue Welt. Mit Krachbum: ‚Digitalisierung first, Bedenken second‘, tönen die Fortschrittsjünger. Weg mit der berühmt-berüchtigten German Angst.
Change? Nicht schon wieder.
Wenn viele Unternehmen jetzt an digitalen Rädern drehen, ist folglich nicht Angst, sondern die Bereitschaft zu Veränderung angesagt. Wohlgemerkt eine aktive, keine erduldende. Nur scheint es damit nicht weit her zu sein. Wenn ich mich mit Menschen aus unterschiedlichen Unternehmen austausche, winken sie oft müde ab. Sie lassen den propagierten Change über sich ergehen. Aber ihn aktiv gestalten? Eher nicht! Empirische Studien bestätigen dies. Dabei mangelt es nicht an Investments. Unternehmen stellen – schon aus Sorge um ihre Zukunft – genügend Budget für Change-Projekte bereit. Kein Wunder, dass der Stellenmarkt für Change Manager und Berater boomt. Schließlich gilt es, Mitarbeitern beim Navigieren durch den Wandel zu helfen.
Zweckrationale Botschaften kommen nicht an
Woran liegt es dann, dass sich Change nur oberflächlich in den Menschen verankert, sie nur formal mitspielen? In meinen Augen liegen die Gründe tief – und gleichzeitig sehr nah: Im Change werden zu selten Emotionen angesprochen. Wir mögen Bekanntes, das wohlige Gefühl von Sicherheit. Wenn Change dies bedroht, meldet sich unser Reptiliengehirn, das im Unterbewusstsein agiert und unser Leben so sehr prägt. Vor allem die oben zitierte Angst, die ja keine deutsche Sache ist, sondern die Menschheit seit ihren Anfängen prägt und wesentlich für unser Überleben ist.
Was viele Change-Prozesse kennzeichnet, sind jedoch zweckrationale Botschaften, die sich auf den Mehrwert für die Organisation kaprizieren. Höhere Effizienz, bessere Prozesse – wir kennen die Leier zur Genüge. Sie adressieren unser Bewusstsein, unsere Vernunft, unsere berufliche Profession. Nur ist Bewusstsein ohnehin selten und im Change nicht entscheidend. Gerade beim Betreten von Neuland brodeln unsere Emotionen im Unterbewusstsein. Genau sie müsste Change daher ansprechen, nicht die Ratio. So wäre gewährleistet, dass Menschen ihre Identität und ihr Selbstwertgefühl gerade im Wandel positiv ‚wahren‘ können.
Ängste der Menschen ernst nehmen
Eigentlich ist es so simpel: Werden wir anerkannt und wertgeschätzt, entwickeln wir Vertrauen, bewegen uns auf sicherem Terrain und gehen nicht im Sumpf unserer eigenen Ängste unter. Oft genügen kleine Gesten, wie zuhören, Zeit nehmen, präsent sein, Ängste ernst nehmen, schlicht ein echtes Interesse an Menschen.
Ist das unsere Change-Realität in Unternehmen? Mitnichten. Fast immer fehlt die Zeit, Menschen mitzunehmen. Schließlich müssen Zeitpläne eingehalten werden, um nach oben positiven Vollzug melden zu können. Change abgehakt. Hier schlägt uns die alte Industriegesellschaft ein Schnippchen. Noch prägen deren mechanistischen Vorstellungen die Change-Prozesse in Unternehmen. Das bedeutet, dass die Ängste nicht bearbeitet werden, von den Betroffenen weggedrückt werden müssen, sich aber anderweitig Raum verschaffen. Über ein geringeres Engagement oder Dienst nach Vorschrift. Die berühmt-berüchtigte Extrameile lässt sich mit Angst nicht gut laufen. Gallup lässt grüßen.