Aufeinander achten

Personalmanagement

Zuletzt haben Unternehmen Schlagzeilen gemacht, die explizite Regeln zur Erreichbarkeit von Mitarbeitern in der Freizeit eingeführt haben. Doch starre Regeln sind realitätsfern.

Morgens im Unternehmen einstempeln, alles Private abschalten, den ganzen Tag arbeiten und nach Feierabend alle Gedanken an die Arbeit ausblenden. Dieses „Nine-to-five-Modell“ passte irgendwann im letzten Jahrhundert. Heute ticken die Uhren anders: Mit der Zunahme von Wissensarbeit, flexiblen Arbeitszeitmodellen und der technologischen Entwicklung verändert sich die Arbeitswelt stetig. Noch vor wenigen Jahren waren mobile Kommunikationsmedien ein Privileg für Führungskräfte. Heute verfügen Mitarbeiter auf allen Hierarchieebenen über Laptop, Smartphone und Co. Die Folge: Die Grenzen zwischen Privat- und Berufsleben lösen sich in vielen Bereichen auf.

Beschäftigte reagieren auf diese Entwicklung. Sie wollen ihren Arbeitsrhythmus mehr denn je auf ihre persönliche Lebensgestaltung zuschneiden und vor allem Privatleben und Beruf in Einklang bringen. Selbst der Arbeitsplatz muss nicht mehr ständig im Unternehmen sein. Er kann auch zu Hause oder aber auch an öffentlichen Orten wie Cafés, auf Flughäfen oder jedem anderen beliebigen Ort sein. Viele Unternehmen haben Prozesse und Strukturen so organisiert, dass Mitarbeiter ihre Arbeitszeit und den Arbeitsort in bestimmten Grenzen frei einteilen könnten.

Die Möglichkeit, ständig erreichbar zu sein und flexibel arbeiten zu können, bringt gänzlich neue Herausforderungen mit sich. Verbote und starre Regelungen – wie sie von der Politik und manchen Organisationen pauschal gefordert werden – führen jedoch in eine Sackgasse. Sie erschweren flexibles Arbeiten und schädigen den Wirtschaftsstandort Deutschland. Wo es keine starren Arbeitszeiten gibt, lässt sich auch die Erreichbarkeit nicht strikt regeln. Hinzu kommt, dass viele Geschäftsprozesse international geworden sind. Immer mehr Menschen arbeiten über verschiedene Zeitzonen hinweg miteinander. Zeitzonen lassen sich durch betriebliche Regelungen aber nicht aushebeln. Drittens drängt auf den Arbeitsmarkt eine junge Generation, die daran gewöhnt ist, ständig online und erreichbar zu ein. Diese kennt es nicht anders und will es auch nicht anders.

Mehr Eigenverantwortung

Nicht die Möglichkeit, Berufliches und Privates miteinander zu vermischen, ist das Problem, sondern der Umgang damit ist es. Deshalb ist die Intention, Mitarbeiter zu schützen, selbstverständlich richtig. Mitarbeiter müssen in die Lage versetzt werden, in dieser Kultur verantwortungsbewusst agieren zu können.

Geradezu zynisch ist jedoch der immer wieder zu hörende Vorschlag, für Arbeitnehmer eine Regelung zu treffen und den Bereich der Führungskräfte sich selbst zu überlassen. Die Begründungen hierzu sind abenteuerlich: „Führungskräfte verdienen mehr Geld als ihre Mitarbeiter.“ Oder: „Einfache Mitarbeiter sind besonders zu schützen, weil die ständige Erreichbarkeit die Gefahr von Burnout erhöhe und Unternehmen sich den Schaden nicht leisten können, der durch den Arbeitsausfall entsteht.“

Bedeutet das im Umkehrschluss, dass bei Führungskräften wegen des höheren Einkommens die Gefahr sinkt, einer durch emotionale Erschöpfung verursachte Leistungsminderung zu erliegen oder gar einen Burnout zu erleiden? Und richtet der Ausfall einer Führungskraft einen geringeren wirtschaftlichen Schaden an als der Ausfall eines Mitarbeiters? Solchen Ideen fehlt jede Verantwortung und Gefühl für die Realität.

Statt politischem Geplänkel muss an den wahren Ursachen für Demotivation und Burnout angesetzt werden. Je mobiler und flexibler die Mitarbeiter in den Unternehmen arbeiten, desto höher werden die Anforderungen in Bezug auf Eigenverantwortung, Transparenz der Arbeitsleistung und Ergebnisorientierung. Mit starren Vorgaben zur Erreichbarkeit nach Feierabend versuchen jedoch manche Chefs, einem Kontrollverlust vorzubeugen. Ein Verhaltensmuster, durch das sich vor allem schwache Führungskräfte auszeichnen. Diese Führungskräfte sind es meistens auch, die ihre Mitarbeiter auch sonst über- beziehungsweise unterfordern, ihnen durch Micromanagement den Sinn der Arbeit nehmen, Konflikte ungelöst lassen usw. Das sind die eigentlichen Ursachen für Demotivation und Burnout. Die ständige Erreichbarkeit nach Feierabend ist dann nur noch der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Doch dort, wo Führung versagt, helfen weder Verbote noch vorgeschriebene Selbstverpflichtungen. Bereits heute füllen Verhaltensvorschriften in den Unternehmen nicht selten dicke Handbücher. Die wenigsten Mitarbeiter und Führungskräfte blicken da noch durch beziehungsweise können erkennen, worauf es wirklich ankommt.

Für Gefahren sensibilisieren

Unternehmen können noch so viele Regeln haben: Wenn der Chef sie nicht selbst glaubhaft propagiert und vorlebt, halten sich Mitarbeiter nicht daran. Was wir also brauchen ist ein Weniger an Vorschriften und Selbstverpflichtungen und ein Mehr an Eigenverantwortung und echtem Führungshandeln. Wir benötigen Führungskräfte mit der Sensibilität, rechtzeitig zu erkennen, wann ein Mitarbeiter durch eine zu enge Verflechtung von Beruf und Privatleben in die Gefahrenzone kommt.

Die „Zauberformel“ heißt auch hier: Selbstverantwortung und verantwortungsbewusster Umgang mit den Risiken. Das nehmen uns kein Arbeitsvertrag und keine Betriebsvereinbarung ab. Moderne, auf Kooperation und Selbstverantwortung beruhende Führungsmodelle setzen hier an. Für viele Führungskräfte bedeutet dies einen Paradigmenwechsel im Führungsverständnis. Dabei müssen sie begleitet werden.

Ergänzend zur Arbeit an den Führungskompetenzen liegt die Lösung darin, Führungskräfte und Mitarbeiter gleichermaßen für die Gefahren der ständigen Erreichbarkeit zu sensibilisieren und zu einem professionellen Umgang mit mobilen Kommunikationsmedien anzuhalten. Dies geht weit über die Erreichbarkeit nach Feierabend hinaus. Ebenso schädlich und verschleißend ist es, wenn Arbeitsvorgänge durch ein permanentes Abrufen von E-Mails und Kurznachrichten unterbrochen werden oder Mitarbeiter sich von ihren elektronischen Kommunikationsmitteln in Meetings ständig ablenken lassen. Konkret gilt es also auf eine Unternehmenskultur hinzuwirken, in der das Abschalten akzeptiert wird und eine Kultur der gegenseitigen Achtsamkeit vorherrscht. So entsteht eine agile Organisation, in der Flexibilität und Mobilität die Wertschöpfung steigern können, ohne die Mitarbeiter aufgrund permanenter Kommunikation zu überfordern.

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Torsten Schneider

Torsten Schneider

Director Human Resources
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft

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